Einführung

Jeder Mensch hat ein einmaliges Genom mit Variationen in einer enorm grossen Anzahl von Genloci, was nichts anderes bedeutet, als dass sich alle Menschen in einer riesigen Zahl von einzelnen Basen auf den Chromosomen unterscheiden. Man nennt solche punktuelle Unterschiede der Basensequenz auch SNP's oder single-nukleotide-polymorphism. Wie die SNP's mit Krankheiten zusammenhängen ist noch wenig erforscht

Folgt ein genetisch bedingtes Merkmal nicht den einfachen Mendel'schen Gesetzen der Vererbung und ist es zudem variabel ausgeprägt, kann man annehmen, dass entweder mehrere Gene an der Merkmalausprägung beteiligt sind ==> Polygenie oder eine genetische Disposition vorliegt, die im Zusammenspiel mit teilweise unbekannte Faktoren mitverantwortlich für die Ausprägung des Merkmals ist ==> Multifaktorielle Vererbung.
Sind es nur Umweltfaktoren, die Einfluss auf den Phänotyp bei gleichem Genotyp haben, spricht man von fliessender Modifikation.

Abb. 18 - Komplexes Vererbungsmuster
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Abb. 18

In diesem Stammbaum sind keine einfachen Mendel'schen Gesetzmässigkeiten im Vererbungsmuster sichtbar. Es handelt sich um ein komplexes Vererbungsmuster, bei welchem die Genvariation alleine die Krankheit nicht zu erklären mag.

Im weiteren ist zu berücksichtigen, dass manche Krankheiten bzw. Missbildungen nicht bei beiden Geschlechtern gleich häufig und mit der gleichen Ausprägung vorkommen. Dabei spielt wahrscheinlich die genetische Prägung oder genomic imprinting eine wichtige Rolle.

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Ein seit Jahrtausenden bekanntes Phänomen kann wahrscheinlich mit der unterschiedlichen genetischen Prägung der beiden Elterngenome erklärt werden. Durch die Kreuzung von Pferd und Esel erhält man zwei Arten von Nachkommen mit unterschiedlichem Aussehen und unterschiedlichen Charakteren.

  • Maultiere, wenn die Mutter eine Pferdestute und der Vater ein Eselshengst war
  • Maulesel, wenn die Mutter eine Eselin und der Vater ein Pferdehengst war

Sowohl Maultier als auch Maulesel sind nicht fortpflanzungsfähig.

SNP's oder Single-nucleotide Polymorphism

Nicht jede Mutation der Basensequenz bedeutet eine krankmachende Veränderung des Genoms. Es gibt die single-nucleotide polymorphisms (SNP's) oder Ein-Buchstaben Variation in der DNA Sequenz. Heute bestehen SNP-maps, in denen alle bis anhin bekannte Polymorphismen gespeichert und für Wissenschaftler zugänglich sind.
Man kennt zwischen 1.42 und 2.1 Millionen SNP's. Sie treten mit einer Frequenz von durchschnittlich 1 SNP pro 1910 Basen mit regionalen Unterschieden auf. Am wenigsten SNP's hat es auf dem X-Chromosom und allgemein kommen in den Intron-Abschnitten der DNA häufiger SNP's vor als in den Exon-Abschnitten, die Information hinsichtlich der AS-Sequenz der Proteine enthalten. Die SNP's sind sehr individuelle Informationen, mit deren Hilfe heute das genetische "Fingerprinting" für Vaterschaftsfragen oder in der Kriminalistik durchgeführt wird

Eine genauere Betrachtung des SNP's ist auch sehr interessant in Hinsicht auf Krankheiten, welche komplex und wahrscheinlich auf kombinierten Veränderungen verschiedener Gene beruhen (Polygenie). Es sind Kombinationen von SNP's bekannt, die gewisse Krankheiten begünstigen oder im besseren Fall gegen gewisse Krankheiten resistent machen.

Abb. 19 - Beispiel einer SNP mit phänotypischen Folgen
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Abb. 19

Hier werden zwei identische Chromosomenabschnitte (SH2D1A Gen des X Chromosoms) von zwei Individuen (A und B) verglichen. Eine SNP ist als Variation in einem Basenpaar dargestellt. Beim Individuum B ist Cytosin (C) durch ein Thymin (T) ersetzt worden (rosarot). Dieser "single-nucleotide"-
Austausch führt zu einer Prädisposition für eine unkontrollierte Überproduktion von B- und T-Zellen nach einer Infektion mit dem Epstein-Barr Virus (Burkitt-Lymphom).

Polygenie und multifaktorielle Erbleiden

Heute kennt man Krankheiten, die durch das Zusammenwirken von verschiedenen Genen hervorgerufen werden. Solchen Krankheiten liegt meist Polygenie oder multifaktorielle Vererbung zugrunde. Dagegen könnten bei bekannter Disposition (genetische und Umwelt bedingte Faktoren) eventuell prophylaktische Massnahmen ergriffen werden. Die Suche nach den zugrundeliegenden, prädisponierenden Genvariationen sowie Zahl und Art der beteiligten Umweltfaktoren ist aber sehr schwierig, da solche Krankheiten nicht den einfachen Mendel'schen Gesetzen folgen.

Das folgende Beispiel soll eine Krankheit zeigen, die einerseits polygenisch verursacht und andererseits von Umweltfaktoren beeinflusst ist. In epidemiologischen Studien wurde das Vorkommen der vier für diese Krankheit verantwortlichen Genvarianten in der kranken Bevölkerungsgruppe bestimmt

Abb. 20 - Multifaktorielle Ursachen für eine Krankheit
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Abb. 20

Die Abbildung zeigt, dass nebst der genetischen Prädisposition noch weitere Faktoren (Umwelt/Lebensstil) einen Einfluss haben, damit eine Krankheit ausbricht. Im weiteren wird deutlich, dass Varianten des Gens A den grössten Einfluss auf die Krankheit zu haben scheinen, obwohl es für seine Manifestation nicht ausreicht.

Untersucht man aber einzelne betroffene Familien, findet man unter Umständen ganz andere Verteilungsmuster der verschiedenen Genvarianten als in der Bevölkerung. Dies zeigt, dass bei vielen komplexen Krankheiten zwar prädisponierende polygenetische Faktoren vorhanden sein müssen. Diese Faktoren alleine genügen aber nicht, um die Krankheit bzw. Missbildung hinreichend erklären zu können. Es müssen bei den einzelnen Familien noch Umweltfaktoren bzw. Unterschiede in der Lebensführung dazukommen, die im einzelnen nicht bekannt sind

Abb. 21 - Analyse der Genvarianten in vier verschiedenen Familien
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Abb. 21

In einer Familie (Familie 3) mag eine seltene Genvariante C einen grossen Einfluss auf die Prädisposition für eine Krankheit haben, obwohl diese Genvariante in der Gesamtbevölkerung einen kleinen Einfluss hat.

Schliesslich ist noch zu erwähnen, dass der Anteil der Erbanlagen bzw. der Umweltfaktoren bei der Ausprägung des Merkmals wechselt und nur durch Zwillings- und Adoptionsstudien untersucht werden kann. Es wird zwar jedes der beteiligten Gene nach den Mendel'schen Gesetzen vererbt, aber die Ausprägung des Merkmals bzw. das Erscheinungsbild der Krankheit/Missbildung ist die Summe der einzelnen Gene. Dies wird auch als additive Genwirkung bezeichnet. Bei manchen Merkmalen muss die additive Genwirkung für die Ausprägung des Merkmals einen Schwellenwert überschreiten, wobei die einzelnen Genvariationen in der Bevölkerung einer Normalverteilung entsprechen. Solche gegenseitige Beeinflussung von zwei Genen mit unterschiedlichen Genorten nennt man auch Epistase

 
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Beispiele für multifaktoriell bedingte Erbleiden:

  • Asthma
  • Angeborene Pylorusstenose
  • Angeborene Hüftluxation, Klumpfuss
  • Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
  • Angeborene Herzfehler
  • Koronare Herzkrankheiten
  • Spina bifida
  • Schizophrenie
  • Affektive Psychose
  • Diabetes Typ 1