Fehlentwicklungen beim Schluss des Neuralrohrs

Einführung

Der grösste Teil der Fehlentwicklungen des Rückenmarks sind auf einen nicht erfolgreichen Schluss des Neuralrohrs kaudal des 4. Somitenpaares während der vierten Woche zurückzuführen. Der genannte Defekt wird spinale Dysraphie genannt. Er verändert die Entwicklung des zentralen Nervensystems und die der darüber liegenden Wirbelbögen. Dies führt zu einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Öffnung des Wirbelkanals (Spina bifida). Transplantationsexperimente haben tatsächlich ergeben, dass das Neuralrohr eine Induktionswirkung auf die Entwicklung der Wirbelbögen ausübt

Je nach Anzahl nicht fusionierter Neuralbögen und folglich der dabei einbezogenen Strukturen unterscheidet man verschiedene Typen von Spina bifida. Die klinischen Konsequenzen können dabei unbedeutend, gross oder sogar fatal sein. Gemeinsam haben alle Typen von Spina bifida eine ausgebliebene Verschmelzung der Wirbelbögen.

Man unterscheidet grundsätzlich zwischen:

  • Spina bifida occulta (= versteckt)
  • Spina bifida aperta (= offensichtlich vorhanden)
    • Meningozele
    • Myelomeningozele mit oder ohne Zyste
    • Myeloschisis
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Die Gründe für die Fehlentwicklung des Neurahlrohrs sind noch nicht gefunden worden. Man weiss aber, dass diese multifaktoriell sein müssen. Genetische, sowie umwelt- und nahrungsabhängige Faktoren scheinen eine wichtige Rolle zu spielen. Studien haben ergeben, dass die Aufnahme von Vitaminen und Folsäure das Auftreten der Missbildung verhindern kann. Gewisse Medikamente aber wie zum Beispiel die Valproinsäure (Antiepilektikum) vergrössern die Anfälligkeit.

 

Spina bifida occulta

Die Spina bifida occulta ist sehr häufig und wird meist zufällig bei Röntgenaufnahmen oder bei einer Untersuchung des Rückens festgestellt. Sie hat in den allermeisten Fällen keine klinische Relevanz, weil nur ein fehlender Schluss der ossären Strukturen bei der Bildung des Arcus vertebrae vorliegt, ohne dass das Rückenmarks mit seinen Häuten (Meningen) beteiligt ist. Der Überzug mit Haut ist intakt. Manchmal verrät ein Haarbüschel die Stelle, wo die ossären Strukturen fehlen.

Abb. 29 - Spina bifida occulta
(Längsschnitt)
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  1. Processus spinosus
  2. Rückenmark
  3. Haarbüschel
  4. Haut
  5. Dura mater

Abb. 29a - Spina bifida occulta
(Querschnitt auf Höhe A)
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  1. Arcus vertebrae
  2. Rückenmark
  3. Haarbüschel
  4. Haut
  5. Dura mater

Legende
Abb. 29, 29a

Schematische Darstellung einer Spina bifida occulta.
Die Meningen und das Rückenmark befinden sich an ihrem Platz.
Optisch verrät allein ein Haarbüschel ihr Vorhandensein.

Abb. 29a

Spina bifida in Kombination mit einer Dermoidzyste

Es kann vorkommen, dass eine Fistel in der medianen, sakralen Region mit einer Dermoidzyste verbunden bleibt, welche auf die Stelle des Schlusses des Neuroporus posterior in der 4. Woche hinweist. Die Zyste stellt den letzten Trennungsort zwischen Oberflächenektoderm und Neuroektoderm dar.
Rückenmark und Meningen befinden sich an ihrem normalen Ort unter der Haut.

 

Spina bifida aperta

Bei der Spina bifida aperta findet man neben der Spaltbildung der ossären Strukturen auch Fehlbildungen der Meningen und/oder des Rückenmarks selber.
Der häutige Überzug kann vorhanden sein oder fehlen. Die mildeste Form ist die Meningozele, wo sich lediglich die Rückenmarkshäute (Meningen) durch den Spalt des fehlgebildeten Arcus vertebrae unter der Haut vorwölben.

Abb. 30 - Meningozele
(Längsschnitt)
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  1. Processus spinosus
  2. Rückenmark
  3. meist intakte Haut über Meningozele
  4. Meningozele mit cerebrospinaler Flüssigkeit
  5. Dura mater

Abb. 30a - Meningozele
(Querschnitt auf Höhe A)
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  1. Arcus vertebrae
  2. Rückenmark
  3. meist intakte Haut über Meningozele
  4. Meningozele mit cerebrospinaler Flüssigkeit
  5. Dura mater

Legende
Abb. 30, 30a

Schematische Darstellung einer Meningozele. Das Rückenmark befindet sich an seinem Platz. Nur ein mit zerebrospinaler Flüssigkeit gefüllter Sack, der von der Dura mater begrenzt ist, wölbt sich unter der Haut hervor.

Abb. 30a

Bei der Myelomeningozele befinden sich sowohl die Meningen als auch das Rückenmark (Myelon) ausserhalb des Arcus vertebrae. Sie sind als Vorwölbung unter der Haut sichtbar, manchmal kann der Hautüberzug auch fehlen oder nur ganz dünn sein.
Zusätzlich dazu kann der Canalis centralis aufgetrieben sein und eine Zyste bilden. Dabei spricht man von einer Myelozystomeningozele.

Abb. 31 - Myelomeningozele
(Längsschnitt)
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  1. Processus spinosus
  2. Canalis centralis
  3. teilweise Haut über Neuralrohrdefekt
  4. Rückenmark
  5. Dura mater

Abb. 31a - Myelomeningozele
(Querschnitt auf Höhe A)
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  1. Arcus vertebrae
  2. Canalis centralis
  3. teilweise Haut über Neuralrohrdefekt
  4. Rückenmark
  5. Dura mater

Legende
Abb. 31, 31a

Schematische Darstellung einer Myelomeningozele.
Das Rückenmark tritt durch den ossären Defekt an die Oberfläche und ist meist nur durch eine dünne Haut überzogen.

Abb. 31a
 
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Makroskopische Bilder

Die Myeloschisis (Rachischisis) ist die schwerste Form der Spini bifida aperta. Das Nervengewebe ist dabei völlig blossgelegt und ein Haut- oder Meningenüberzug fehlt. Bei dieser Fehlbildung blieb im entsprechenden Segment der Schluss der Neuralfalten aus

Abb. 32 - Myeloschisis
(Längsschnitt)
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  1. Processus spinosus
  2. Rückenmark
  3. Dura mater
  4. Haut bis zum Neuralrohrdefekt

Abb. 32a - Myeloschisis
(Querschnitt auf Höhe A)
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  1. Arcus vertebrae
  2. Rückenmark
  3. Dura mater
  4. Haut bis zum Neuralrohrdefekt

Legende
Abb. 32, 32a

Schematische Darstellung einer Myeloschisis.
Das Nervengewebe liegt ohne häutigen Überzug auf der Oberfläche. Dabei kommt es zu schwersten Störungen der Innervation.

Abb. 32a

Anencephalie

Die Anencephalie stellt eine spezielle Art der Spina bifida dar. Sie entsteht, wenn die Fusion im kranialen Bereich des Neuralrohres unterblieben ist. Wenn die Fusion des ganzen Neuralrohres ausbleibt, spricht man von einer Kraniorachisis totalis.
Beide Anomalien sind stets tödlich.