Bildung des Neuralrohrs
Das Auftreten der Neuralplatte am 19. Tag (Stadium 7) stellt das initiale Ereignis bei der Entwicklung des künftigen Nervensystems dar. Die Neuralplatte entwickelt sich cranial des Primitivstreifens (Stadium 6-7) in Gestalt einer medio-sagittalen Verdickung des Ektoderms, welche einem cranio-caudalen Gradienten folgt. Am cranialen Ende entwickelt sich die Neuralplatte rascher, so dass sie sich am Entstehungsort des künftigen Gehirns deutlich verbreitert, während der caudale Teil, aus welchem das Rückenmark hervorgeht, schmal bleibt. Dadurch nimmt die Neuralplatte die Gestalt eines Schlägers an. Diese Umgestaltungsvorgänge vollziehen sich gleichzeitig mit der Gastrulation.
Die Neuralplatte entwickelt sich oberhalb des Chordafortsatzes und unter der induktiven Wirkung des axialen Mesoderms (Prächordalplatte und Chordafortsatz). Der Mechanismus der Induktion ist komplex und soll durch induktive Substanzen gesteuert werden, welche von den Zellen des axialen Mesoderms sezerniert werden. Diese Steuerungsfaktoren diffundieren zu den darüberliegenden ektodermalen Zellen, in welchen sie Gene aktivieren, die für die Differenzierung des ektodermalen Epithels in ein mehrreihiges hochprismatisches Epithel, das Neurektoderm verantwortlich sind.
Die Neuralplatte taucht somit am Cranialende des Embryos zuerst auf und dehnt sich an seinem Caudalende durch Rekrutierung weiterer neurektodermaler Zellen weiter aus. Die Ränder der Neuralplatte werfen sich im Laufe der 3. Woche als Neuralfalten auf und begrenzen dadurch die Neuralrinne (Stadium 8). Durch die C-förmige Längskrümmung des Embryos werden die vorderen und hinteren Anteile der Neuralplatte nach ventral eingerollt.
Die Ränder der Neuralrinne nähern sich einander an und verschmelzen schliesslich ab dem 28. Tag unter Bildung des Neuralrohrs (Stadium 10).
Gleichzeitig isolieren sich auf beiden Seiten Zellansammlungen im Übergangsbereich zwischen Ektoderm und Neurektoderm. Diese lateralen Zellstränge bilden die Neuralleisten (Stadium 9). Der Verschluss des Neuralrohrs beginnt im Halsbereich (auf Höhe des 4. Somiten) und schreitet gleichzeitig nach cranial (Verschluss des Neuroporus rostralis am 29. Tag (Stadium 11)) und nach caudal (Verschluss des Neuroporus caudalis am 30. Tag (Stadium 12)) fort.
Der Stelle des Neuroporus rostralis entspricht am adulten Gehirn die Lamina terminalis, dem Neuroporus caudalis das Filum terminale.
Bei fehlerhaftem Verschluss des hinteren Neuroporus entsteht eine Defektmissbildung, die als Spina bifida bezeichnet wird. Bleibt der Verschluss des vorderen Neuroporus aus, so kommt es zur Anencephalie.
Der Verschluss des Neuralrohrs hängt eng mit der Tatsache zusammen, dass sich die neurektodermalen Zellen gegenseitig erkennen und ihre Hafteigenschaften dank erhöhter Expression von N-Cadherinen und N-CAMs steigern. Das Oberflächenektoderm verschliesst sich über Neuralrohr und Neuralleisten wieder. Etwa 50% des Ektoderms entwickeln sich zur Neuralplatte, während aus der anderen Hälfte die künftige Epidermis hervorgeht.
Neurulation und Carnegie-Stadien:
- Stadium 7, ca. 19 Tag: Neuralplatte
- Stadium 8, ca. 23 Tag: Neuralfalten und Neuralrinne
- Stadium 9, ca. 25 Tag: Neuralrinne noch immer offen, Bildung der Neuralleisten, Rhombomeren
- Stadium 10, ca. 28 Tag: Verschmelzung der Neuralfalten, Bildung des Neuralrohrs
- Stadium 11, ca. 29 Tag: Verschluss des Neuroporus rostralis
- Stadium 12, ca. 30 Tag: Verschluss des Neuroporus caudalis, Sekundäre Neurulation
- Stadium 13, ca. 32 Tag: Vollständiger Verschluss des Neuralrohrs