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22
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Molekulare Mechanismen während der frühembryonalen Entwicklung des ZNS

Abkürzungen
Verzeichnis der Abkürzungen.

Eine harmonische Entwicklung des ZNS verlangt ein subtiles Zusammenspiel ausgeklügelter Regulationsmechanismen. In Bezug auf das Verständnis der molekularen Mechanismen, welche die verschiedenen Entwicklungsphasen steuern, konnten im Laufe der letzten Jahre bedeutende Fortschritte erzielt werden. Zur Frühentwicklung des ZNS gehören die Vorgänge der Induktion, der Proliferation, der Differenzierung, der Zellwanderung und schliesslich der Apoptose. Fortschritte im Verständnis dieser Prozesse haben zu zahlreichen Einsichten in die Wirkungsmechanismen gewisser Moleküle geführt (Transkriptionsfaktoren sowie intrazelluläre Signaltransduktionswege), welche spezifisch für bestimmte embryonale Entwicklungsstadien sind.

Untersuchungen des Genoms von Invertebraten und niederen Vertebraten (Nematoden, Drosophila, Maus) haben zur Entdeckung jener Gene geführt, welche die Embryonalentwicklung steuern und wahrscheinlich auch zur Entwicklung des ZNS beim Menschen beigetragen.

Im Laufe der letzten Jahre konnte die Embryonalentwicklung des ZNS zurückgeführt werden auf die komplexe Wechselwirkung zwischen sezernierten Molekülen wie jene der Superfamilie der TGF-β (transforming growth factors), der BMPs (bone morphogenetic proteins), der FGFs (fibroblast growth factors), der Wnts (wingless related), der CAMs (cellular adhesion molecules) sowie gewisser Gene, insbesondere der homöotischen Gene und des Pax-Gens. Diese Faktoren wirken im Verbund und über eine spezifische räumlich-zeitliche Sequenz. Die Aktivierung gewisser Gene bestimmt insbesondere die Differenzierung der neurektodermalen Zellen in Neuronen und Gliazellen. Darüber hinaus sind auch exogene Faktoren wie die Folsäure und das Cholesterol unabdingbar für eine organische Entwicklung des Neuralrohrs.

 

Bildung des primitiven Neuralrohrs oder neuroblastische Umwandlung des Ektoderms

Im Laufe der Gastrulation wird die Bildung der Neuralplatte durch den Chordafortsatz induziert. Dieser sezerniert Substanzen wie Follistatin, Chordin und Noggin, welche ihrerseits die Sekretion von BMP4 (bone morphogenetic protein) unterdrücken. Dieses Protein ist ein Wachstumsfaktor aus der Familie der TGF-β, welches die Umwandlung ektodermaler Zellen in neuronale Zellen hemmt. Untersuchungen haben gezeigt, dass FGF die Expression von BMP4 bereits in einem früheren Stadium unterdrückt.

Abb. 7 - Hypothetisches Schema der molekularen Mechanismen
zur neuronalen Induktion beim Vertebratenembryo
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Legende
Abb. 7

Die Umwandlung ektodermaler Zellen in neuronale Zellen erfolgt spontan (by default). Diese Differenzierung wird jedoch durch tonische Freisetzung von BMP aus ektodermalen Zellen unterdrückt.
Im Laufe der Gastrulation werden vom Chordafortsatz Substanzen wie Follistatin, Chordin und Noggin freigesetzt, wodurch die Aktivität des BMP seinerseits unterdrückt wird, so dass es zur Differenzierung der Neuralplatte kommt. Darüber hinaus hemmen die FGFs die Transkription (mRNA) des BMP bereits vor der Gastrulation.

Cranio-caudale Polarität des Neuralrohrs

Die Differenzierung des Neuralrohrs geht mit einer Modulation der Genexpression in Chordafortsatz, Prächordalplatte, im Isthmus-Organisator und im Neuralrohr einher.

  • Auf Höhe des Prosencephalons - wo der Chordafortsatz fehlt - bewirkt die Prächordalplatte die Induktion durch Expression von Transkriptionsfaktoren wie Emx (empty spiracle), Lim und Otx (orthodenticle).
  • Demgegenüber obliegt diese Aufgabe auf Höhe des Mesencephalons und des Rhombencephalons dem Chordafortsatz und dem paraxialen Mesoderm.
  • Die Entwicklung des hinteren Teils des Neuralrohrs hängt ab von der Anwesenheit anderer Faktoren wie der FGFs (fibroblast growth factors) sowie der Gene Hox, cdx und der Retinolsäure
  • Schliesslich ist der Isthmus-Organisator ein wichtiges Element bei der craniocaudalen Gliederung des Gehirns. Er exprimiert namentlich Wachstumsfaktoren wie FGF und Wnt und en (engrailed). Wnt und engrailed knock-out Mäuse weisen Entwicklungsstörungen im Bereich von Mesencephalon und Kleinhirn auf.
Abb. 8 - Molekulare Differenzierungsfaktoren
welche im Neuralrohr sezerniert werden
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1
Prächordalplatte
2
Chordafortsatz
3
Isthmus-Organisator
P
Prosencephalon
M
Mesencephalon
R
Rhombencephalon
NT
Neuralrohr

Legende
Abb. 8

Auf Höhe des Prosencephalons ist die Prächordalplatte für die Expression von Transkriptionsfaktoren wie emx, lim und otx verantwortlich, während auf Höhe von Mesencephalon und Rhombencephalon diese Aufgabe dem Chordafortsatz zufällt (Expression der Gene Hox und cdx). Der Isthmus-Organisator bildet FGF, WNT und en.

Dorso-ventrale Polarität des Neuralrohrs

Während die Festlegung der cranio-caudalen Polarität im Stadium der Neuralplatte erfolgt, wird die dorso-ventrale Polarität erst später bestimmt. Diese wird durch den Chordafortsatz gesteuert, welcher die Grundplatte des Neuralrohrs induziert (oder allgemeiner: das ventrale Gebiet in Gestalt der basalen motorischen Platten). Diese spezialisierte Gegend des Neuralrohrs besteht aus Zellen mit besonderen Eigenschaften. Sie bilden insbesondere jene chemotaktischen Substanzen, welche das Wachstum der Kommissurenfasern zur kontralateralen Seite steuern. Darüber hinaus soll der Chordafortsatz-Grundplatten-Komplex verantwortlich sein für die frühe Differenzierung der Motoneuronen (Stadium 13). In der Tat wird Shh (sonic hedgehog), ein vom Chordafortsatz und später von der Neuralplatte sezerniertes Glycoprotein, auf dieser Höhe die Expression von Genen wie PAX 3 und PAX 7 reprimieren, welche für die Ausbildung der dorso-ventralen Polarität verantwortlich sind. Dadurch wird die Differenzierung von Motoneuronen ermöglicht.

Was das dorsale Territorium angeht, so bildet es die künftigen sensiblen Flügelplatten, deren Dorsalisierung auf die Wirkung einer Kaskade von Wachstumsfaktoren der Familie des TGF-β (Dorsalin, Activin, BMP4) sowie von Wnts zurückgeht. Diese Faktoren sind verantwortlich für die Expression dorsalisierender Gene wie PAX 3 und HOX 7 (msx1). Die Ausbreitung sensibler Zellen nach ventral im Anschluss an eine Ablation des Chordafortsatzes weist auf die hemmende Wirkung von Faktoren hin, welche vom Chordafortsatz stammen.

Abb. 9 - Induktion
der Motoneurone
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  1. Ektoderm
  2. Dach des Neuralrohrs
  3. Neuralrohr
  4. Boden des Neuralrohrs
  5. Chordafortsatz

Abb. 10 - Induktion
der Flügelplatte
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Legende
Abb. 9

Die Sekretion von Shh durch den Chordafortsatz-Grundplatten-Komplex soll die Entstehung der Motoneuronen durch Repression dorsalisierender Gene wie PAX 3 und PAX 7 induzieren.

Abb. 10

Die Dorsalisation des Dachs des Neuralrohrs (Flügelplatte) geht auf die Aktivierung einer Kaskade von Wachstumsfaktoren aus der Familie des TGF-β sowie des Wnts zurück.

Abb. 11 - Expressionskarte der Genprodukte von Pax
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A
Sensible Neuronen
B
Vegetative Neuronen
sensibel und motorisch
C
Motoneuronen

Abb. 12 - Expressionskarte der Genprodukte von Pax
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Legende
Abb. 11

Die Pax-Gene codieren für Transkriptionsfaktoren, die eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung des Neuralrohrs spielen, namentlich die Gene Pax 3/7 (Flügelplatte) und Pax 6 (Grundplatten). Ein Defizit in der Expression dieser Gene führt zu Missbildungen (Waardenburg-Syndrom und Aniridie).

Abb. 12

Expressionskarte der Genprodukte von Pax im embryonalen Rückenmark einer Maus (nach Chalepakis et al. 1991).