Modul
22
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Differenzierung und Zellmigration

Die Differenzierung der meisten Zelltypen des künftigen Zentralnervensystems beginnt ab der 4. Woche im Rhombencephalon. Die Differenzierung der Neuroepithelialen Stammzellen zu Neuroblasten schreitet von da aus räumlich - nach cranial und nach caudal - ebenso wie zeitlich voran, wobei ein erstes Maximum von der 15. bis zur 20. Woche und ein zweites um die 25. Woche erreicht werden. Nach den Neuroblasten werden die Glioblasten gebildet (wobei in diesen Fall der Maximalwert der Produktion erst nach der Geburt erlangt wird) und zuletzt die Ependymzellen. Im Laufe ihrer Differenzierung geben die Nervenzellen den Kontakt zu den Grenzmembranen auf und verlieren ihre Mitosefähigkeit. Die Wand des Neuralrohrs verdickt sich und das Nervengewebe verliert seinen epithelialen Charakter (Stadium 10).

Parallel dazu entstehen die drei typischen Zelllagen des primitiven Neuralrohrs:

  • Ventrikulärzone
  • Intermediärzone (Mantelzone)
  • Marginalzone

(siehe Histogenese des Rückenmarks)

Abb. 21 - Zelldifferenzierung (schematische Darstellung einer einzelnen Zelle)
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Legende
Abb. 21

Die Neuroblasten gehen aus der "kritischen Mitose" einer neuroepithelialen Stammzelle hervor. Dabei entstehen einerseits eine identische, teilungsfähige Tochterzelle und andererseits ein postmitotischer Neuroblast (gelb).

Beachte, dass der Neuroblast seine Verbindung zu den Grenzmembranen aufgibt.

 

Differenzierung der Neuroblasten

Die Neuroblasten gehen aus der Teilung einer neuroepithelialen Stammzelle hervor. Höchstwahrscheinlich werden die Zellen im Laufe einer "kritischen Mitose" determiniert. Dabei entstehen einerseits eine Tochterzelle, welche ihre Teilungsfähigkeit bewahrt, sowie ein postmitotischer Neuroblast, welcher seine Verbindungen zu den Grenzmembranen sowie seine Mitosefähigkeit unwiderruflich verliert.

Mehr dazu
Umwandlung der Neuroblasten in Neurone.

In der Tat kugelt sich der Neuroblast ab, und er entfernt sich von der inneren Grenzmembran, so dass eine neue Schicht, die Intermediärzone (Mantelzone) entsteht (Stadium 21). Aus dieser Zellschicht geht dann konsequenterweise die graue Substanz des ZNS hervor. Den auswandernden Neuroblasten dient die Radiärfaserglia als Leitstruktur.

Mahr dazu
Histologie des Neurons.

Schliesslich bilden die zunächst kugeligen Neuroblasten ihre Zellfortsätze aus, also die Dendriten und die Axone. Diese dehnen sich in die Peripherie aus, so dass die dritte Schicht, die Marginalzone entsteht. Da diese Schicht des Neuralrohrs keinerlei Nervenzellkörper (Perikaryen) enthält, entsteht daraus die weisse Substanz des ZNS. Diese Anordnung zu drei Schichten bleibt im Rückenmark weitgehend erhalten, erfährt im Bereiche des Grosshirns und des Kleinhirns während der weiteren Entwicklung jedoch tiefgreifende Veränderungen. Diese Umgestaltungsvorgänge werden im Kapitel zur Gewebearchitektur des Gehirns ausführlicher behandelt.

Abb. 22 - Synoptische Darstellung
der wichtigsten Derivate der Intermediärzone (Mantelzone)
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7a
Apolarer Neuroblast
7b
Bipolarer Neuroblast
7c
Unipolarer Neuroblast
7d
Reifer Neuroblast
8a
Glioblast
8b
Protoplasmatischer Astrocyt
8c
Faserastrocyt
8d
Oligodendrocyt
9a
Mesenchymzelle
9b
Mikrogliazelle

Legende
Abb. 22

B: Sowohl die Neuroblasten als auch die Glioblasten des ZNS gehen aus der Intermediärzone (Mantelzone) hervor.

C: Die Mikroglia entstammt demgegenüber dem Mesenchym und die entsprechenden Zellen besiedeln das ZNS erst später.

Differenzierung der Gliazellen

Obgleich die meisten Gliazellen (Glioblasten) zeitlich nach den Neuroblasten auftreten, bilden die Zellen der Radiärfaserglia eine Ausnahme, tauchen sie doch bereits vor dem Ende der Neurogenese auf.
Sie spielen eine Schlüsselrolle in der neuronalen Entwicklung da sie das Leitgerüst für die Zellwanderung darstellen (siehe unten). Zudem gibt es Hinweise, dass aus ihnen sowohl Neurone als auch Gliazellen hervorgehen können. Damit würden beide Zelltypen auf dieselbe neuroepitheliale Vorläuferzelle zurückgehen. Im Übrigen weisen Untersuchungen darauf hin, dass das neurogene Potential der Radiärfaserglia in Abhängigkeit eng begrenzter regionaler Zellpopulationen des ZNS variiert. Diese Unterschiede äussern sich namentlich in der Expression von Wachstumsfaktoren, Transkriptionsfaktoren und in den erzeugten Zelltypen

Die übrigen Gliazellen (Glioblasten) treten erst in einem späteren Entwicklungsstadium auf und zwar erst nachdem die Proliferation der Neuroblasten eingestellt wurde. Das Zahlenverhältnis von Glioblasten zu Neuroblasten verhält sich wie 10 : 1. Die Gliazellen sind verantwortlich für die Ernährung der Neurone des ZNS, sie leisten einen Beitrag zur strukturellen Stabilität und bilden später die Myelinscheiden.

Zusammenfassend stehen die Stammzellen der Glia am Ursprung von zwei Zellpopulationen:

  • Aus der ersten Population gehen die Zellen der Radiärfaserglia hervor (siehe oben). Deren Zellfortsätze dehnen sich von der inneren bis zur äusseren Grenzmembran als Corti' Säulen aus und dienen den Neuroblasten auf ihrer Wanderung als Leitstruktur.

  • Die zweite Population liefert eine grosse Vielfalt frei beweglicher Zellen. Dazu gehören die protoplasmatischen Astrocyten und die Faserigen Astrocyten (welche die Kapillaren und die Neurone des ZNS umhüllen) sowie die Oligodendrocyten (welche die Myelinscheiden im ZNS bilden).

  • Ferner sind weitere Zellen anzutreffen, welche der Mikroglia zugerechnet werden. Diese spielen eine bedeutende Rolle als Phagocyten und stammen vom Mesenchym ab. Sie scheinen das ZNS erst mit einsprossenden Gefässen zu besiedeln.
Abb. 23 - Synoptische Darstellung
der wichtigsten Abkömmlinge der Intermediärzone (Mantelzone)
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7a
Apolarer Neuroblast
7b
Bipolarer Neuroblast
7c
Unipolarer Neuroblast
7d
Reifes Neuron
8a
Glioblast
8b
Protoplasmatischer Astrocyt
8c
Faserastrocyt
8d
Oligodendrocyt
9a
Mesenchymzelle
9b
Mikroglia

Legende
Abb. 23

Aus der Intermediärzone (Mantelzone) des Neuralrohrs gehen die Neuroblasten und die Gliazellen des ZNS hervor. Die Mikroglia entstammt dem Mesenchym und besiedelt das ZNS erst später.

  • Gegen Ende der Proliferationsphase entwickelt sich die Ventrikulärzone zu Ependymzellen, die das Ventrikelsystem und den Zentralkanal auskleiden. An jenen Stellen, an denen die Wand des Neuralrohrs bis auf diese epitheliale Schicht reduziert ist (Lamina epithelialis), differenzieren sich die Ependymzellen zu Zellen des Plexus choroïdes.
    Das Plexus-choroideus-Epithel bildet den Liquor cerebrospinalis (Hirn-Rückenmarks-Flüssigkeit). Zudem werden an gewissen Stellen, insbesondere am Boden des III. Ventrikels, Ependymzellen durch Tanycyten ersetzt.

  • Auch die Pituicyten (Zellen der Neurohypophyse) und die Pinealocyten (Zellen der Epiphyse) sind den Astrocyten vergleichbare, spezialisierte Gliazelle.
Abb. 24 - Synoptische Darstellung
der wichtigsten Abkömmlinge der Ventrikulärzone
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10
Ependymzellen
11
Epithelzellen des Plexus choroideus
12
Pinealocyten
13
Pituicyten
A
Neuralleiste
B
Mantelzone Neuralrohr
C
Mesenchym
D
Ventrikularzone Neuralrohr

Legende
Abb. 24

Aus der Ventrikulärzone des Neuralrohrs entwickeln sich die Ependymoblasten, aus welchen die Ependymzellen hervorgehen. Die Epithelzellen des Plexus choroideus, die Pituicyten (Neurohypophyse) und die Pinealocyten (Epiphyse) sind als spezialisierte Ependymzellen aufzufassen.

Zusammenfassung der Histogenese des primitiven Neuralrohrs

  • Ventikulärzone (Keimschicht):
    In der Ventrikulärzone liegen die neuroepithelialen Stammzellen, aus denen die Neuroblasten sowie die Glioblasten, die Ependymzellen, die Pituicyten und die Pinealocyten hervorgehen. Mit Ende der Proliferationsphase geht die Dicke der Ventrikulärzone zurück und sie entwickelt sich zum einschichtigen Ependym.

  • Intermediärzone (Mantelzone):
    Diese Schicht besteht aus sich differenzierenden Neuroblasten und Glioblasten. Sie bildet somit die graue Substanz.

  • Marginalzone (Randschleier):
    In der Marginalzone finden sich Gliazellen sowie die Fortsätze (Axonen) der Nervenzellen, so dass sie zur weissen Substanz wird.