Modul
22
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Entwicklung des Metencephalons (4. Hirnbläschen - Pons, Cerebellum)

Das Metencephalon entwickelt sich im vorderen Bereich des Rhombencephalons von der Brückenbeuge bis zum Isthmus mesencephali. Aus dem Metencephalon entwickeln sich zwei Anteile:·

  • Der ventrale Teil oder Boden, aus welchem der Pons hervorgeht
  • Der dorsale Teil oder Dach, der sich zum Cerebellum entwickelt, einem Koordinationszentrum im Dienste der Bewegung und des Gleichgewichts
Illustration

Entwicklung des Pons (Boden)

Der Pons stellt die rostrale Verlängerung des Myelencephalons dar und ist diesem denn auch strukturell verwandt. Obschon sich die Seitenwände des Neuralrohrs einander wieder annähern, bleiben die grundsätzlichen morphologischen Merkmale von Flügelplatte und Grundplatte erhalten. Sie liefern die Kerngebiete der Hirnnerven V bis VIII.

Die Grundplatten liefern auch im Metencephalon drei Säulen motorischer Kerngebiete: die Säule der allgemeinen somatischen Efferenzen (ASE), die Säule der speziellen visceralen Efferenzen (SVE) und die Säule der allgemeinen visceralen Efferenzen (AVE). Zudem kommt es zu einer beträchtlichen Verdickung der Marginalzone ventral der Grundplatten, ziehen an dieser Stelle doch zahlreiche Fasern vorbei, welche das Rückenmark mit der Grosshirnrinde und dem Cerebellum verbinden (siehe unten).

Aus den Flügelplatten gehen die Säule der allgemeinen viscerallen Afferenzen (AVA), die Säule der speziellen visceralen Afferenzen (SVA), die Säule der allgemeinen somatischen Afferenzen (ASA) und die Säule der speziellen somatischen Afferenzen (SSA) hervor. Aus den Flügelplatten wandern ferner Neurone nach ventral aus, so dass die typische, als Pons bezeichnete Verdickung entsteht. Die Perikaryen dieser Neurone lagern sich zu den Nuclei pontis (Brückenkerne) zusammen, von welchen Fasern unter Kreuzung der Medianebene (Decussation) zum Cerebellum ziehen. Diese ponto-cerebellären Fasern begrenzen den Boden der Rautengrube seitlich als mittlere Kleinhirnstiele. Letztlich werden die Brückenkerne zu integrierenden Schaltstellen in der Informationsübermittlung zwischen Grosshirnrinde und Kleinhirnrinde sowie dem Rückenmark.

Abb. 57 - Seitenansicht des ZNS
im Fünfbläschenstadium
um den 38. Tag
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Abb. 58 - Querschnitt
durch das Metencephalon
um die 6. Woche
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  1. IV. Ventrikel
  2. Deckplatte
  3. Flügelplatte
  4. Grundplatte

Legende
Abb. 57, 58 Abb. 58

In diesem Entwicklungsstadium liegen die Seitenwände im Bereiche des Metencephalons näher beisammen als im Myelencephalon, die Topographie bleibt jedoch sehr ähnlich.
Beachte die Auswanderung von Neuroblasten aus der Flügelplatte nach dorsal unter Bildung der Rautenlippen (gelb).

Abb. 59 - Seitenansicht des ZNS
Fünfbläschenstadium
um den 44. Tag
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Abb. 60 - Querschnitt
durch das Metencephalon
um die 7. Woche
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  1. IV. Ventrikel
  2. Deckplatte
  3. Rautenlippe
  4. Flügelplatte mit dorsaler und ventraler Ausdehnung (Pfeile)
  5. Grundplatte
  6. Brückenkerne

Legende
Abb. 59, 60 Abb. 60

Die dorsolateralen Teile der Flügelplatten bilden zu diesem Zeitpunkt die Rautenlippen, welche allmählich das Dach des IV. Ventrikels überwachsen.
Aus den ventralen Anteilen der Flügelplatten entwickeln sich die Nuclei pontis. Die Marginalzone ist beträchtlich verdickt.

Abb. 61 - Seitenansicht des ZNS
Fünfbläschenstadium
um die 8. Woche
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Abb. 62 - Querschnitt
durch das Metencephalon
um die 8. Woche
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  1. IV. Ventrikel
  2. Rautenlippe
  3. Deckplatte
  4. Brückenkerne
  5. SSA (Somatosensorik)
  6. ASA (Somatosensorik)
  7. SVA (Viszerosensorik)
  8. AVA (Viszerosensorik)
  9. AVE (Viszeromotorik)
  10. SVE (Viszeromotorik)
  11. ASE (Somatomotorik)

Legende
Abb. 61, 62 Abb. 62

Die Rautenlippen sind nun ausgebildet. Sie bedecken das Dach und wölben sich in das Lumen des IV. Ventrikels vor. Erst um die 12. Woche werden sie die Ansatzstelle der Deckplatte überragen. Der ventrale Teil der Flügelplatte enthält vier Gruppen sensibler Kerngebiete während die Grundplatte drei Gruppen motorischer Kerngebiete umfasst. Die Marginalzone hat weiter an Dicke zugenommen.

 
Zur Erinnerung
  • SSA: spezielle somatische Afferenzen (Somatosensorik)
  • ASA: allgemeine somatische Afferenzen (Somatosensibilität)
  • VA: spezielle viscerale Afferenzen (Viszerosensorik)
  • AVA: allgemeine viscerale Afferenzen (Viszerosensibilität)
  • VE: allgemeine viscerale Efferenzen (Viszeromotorik Kiemenbögen)
  • SVE: spezielle viscerale Efferenzen (Viszeromotorik X und IX)
  • ASE: allgemeine somatische Efferenzen (Somatomotorik)
 

Entwicklung der Cerebellums (Dach)

Das Cerebellum entwickelt sich aus dem dorsolateralen Teil der Flügelplatten. Diese verdicken sich und neigen sich nach medial, wodurch um die 6. Woche die Rautenlippen des Metencephalons entstehen. Zu Beginn wölbt sich die Kleinhirnanlage nur gegen gegen den Hohlraum des IV. Ventrikels vor, und erst ab der 12. Woche dehnt sie sich nach dorsal aus. Caudal liegen die Rautenlippen weit auseinander, sie konvergieren jedoch nach kranial. Dort treffen sie aufeinander und bilden so eine transversale Verdickung, die Kleinhirnplatte, welche allmählich das Dach des IV. Ventrikels überwachsen wird.

Abb. 63 - Schematische dorsolaterale Seitenansicht (Stadium 16)
und Dorsalansicht (Stadium 23) des Stammhirns
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  1. Extraventriculäre Rautenlippe
  2. Intraventriculäre Rautenlippe
  3. caudale Grenze des Rhombencephalons
  4. Mesencephalon
  5. rostrale Grenze des Rhombencephalons
  6. Flügelplatte
  7. Sulcus limitans
  8. Grundplatte

Legende
Abb. 63

Links:
Infolge der zunehmenden Krümmung der Brückenbeuge werden die Seitenwände auseinandergedrängt (blaue Pfeile) und die Rautenlippen (gelb) bewegen sich auf das Myelencephalon zu (rote Pfeile).

Rechts:
Dorsalansicht des Stammhirns eines Embryos in der 8. Woche. Das Dach des IV. Ventrikels wurde entfernt. Am Boden des IV. Ventrikels lassen sich die Flügelplatten und die Grundplatten unterscheiden. Beachte die Rautenlippen, welche cranial in der Medianen unter Bildung der Kleinhirnplatte verschmelzen.

Um die 12. Woche bildet diese Umfangsvermehrung eine zentrale Platte, den Vermis als rein axiale Struktur sowie zwei seitliche Verdickungen, die zukünftigen Kleinhirnhemisphären (Neo-Cerebellum). Auf der Hinterseite der Kleinhirnplatte entsteht eine quer verlaufende Rinne, die Fissura posterolateralis, welche den Nodulus vom Vermis sowie den Flocculus von den Kleinhirnhemisphären abgrenzt (Lobus flocculonodularis).

Abb. 64 - Dorsalansicht des Rhombencephalon um die 12. Woche
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1
Corpus geniculatum laterale (externum)
2
Colliculus rostralis
3
Corpus geniculatum mediale (internum)
4
Colliculus caudalis
5
Kleinhirnhemisphäre
6
Nodulus
7
Dach des IV. Ventrikels
8
 Medulla oblongata
9
Fissura prima
10
Fissura posterolateralis
11
Flocculus
12
Foramen Luschkae (laterale Öffnung)
13
Foramen Magendii (mediane Öffnung)
14a
Tuberculum gracile
14b
Tuberculum cuneatum

Legende
Abb. 64

Dorsalansicht des Stammhirns eines Embryos in der 12. Woche. Die Kleinhirnplatte entsteht aus zwei seitlichen Verdickungen und bedeckt den Boden des IV. Ventrikels fast vollständig. Die Fissura posterolateralis trennt Nodulus und Flocculus ab. Beachte die verzögerte Entwicklung des medianen Teils (Vermis).

Um die 14. Woche wird das Cerebellum durch die Fissura prima in einen Lobus anterior und einen Lobus posterior gegliedert.
Der Lobus anterior umfasst damit die Kleinhirnlobi rostral der Fissura prima, namentlich die Lingula.
Der Lobus posterior besteht aus den Kleinhirnlappen caudal der Fissura prima mit Ausnahme des Lobus flocculonodularis.

Abb. 65 - Dorsalansicht des Rhombencephalons um die 16. Woche
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5
Kleinhirnhemisphäre
6
Nodulus
7
Dach des IV. Ventrikels
8
 Bulbus spinalis
10
Fissura posterolateralis
11
Flocculus
12
Foramen Luschkae
13
Foramen Magendii
14a
Fasciculus gracilis
14b
Fasciculus cuneatus
15
Vermis
16
Lingula
17
Grosshirnhemisphäre
18
Mesencephalon

Legende
Abb. 65

Dorsalansicht des Stammhirns eines Embryos in der 16. Woche. Das Wachstum der Kleinhirnhemisphären überwiegt gegenüber dem Vermis. Querrinnen trennen von den Hemisphären (Neocerebellum) die phylogenetisch älteren Anteile ab (Archicerebellum), nämlich rostral die Lingula und caudal den Lobus flocculonodularis.
Beachte im Recessus lateralis des IV. Ventrikels die seitlichen Öffnungen (Foramina Luschkae) sowie das Telencephalon, welches das Mesencephalon bereits teilweise verdeckt.

Wie oben dargelegt, wächst die Kleinhirnanlage erst ab der 12. Woche nach dorsal. Nach der 16. Woche entstehen weitere Fissuren, welche das Cerebellum in Lappen und Blätter (Foliae) gliedern, so dass es analog zum Grosshirn zu einer beträchtlichen Oberflächenvergrösserung der Kleinhirnrinde kommt. Im Laufe der Entwicklung wird das Cerebellum das Dach des IV. Ventrikels vollständig bedecken.

Abb. 66a - Entwicklung des Cerebellums, Sagittalschnitt
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Abb. 66b - Entwicklung des Cerebellums, Sagittalschnitt
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Legende
Abb. 66a

Entwicklung der Kleinhirnanlage um die 11. Woche. Die blauen Pfeile deuten das beginnende, nach dorsal gerichtete extraventrikuläre Wachstum an, die rosa Pfeile die Ausdehnung in den IV. Ventrikel.

Abb. 66b

Entwicklung des Cerebellums um die 12. Woche.
Beachte die Entwicklung des Plexus choroideus im Dach des IV. Ventrikels.

Abb. 67 - Entwicklung des Cerebellums, Sagittalschnitt
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A
Fissura prima

Abb. 68 - Entwicklung des Cerebellums, Sagittalschnitt
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B
Fissura posterolateralis

Legende
Abb. 67

Ab der 14. Woche wird das Cerebellum durch die Fissura prima (Pfeil A) in einen Lobus anterior und einen Lobus posterior gegliedert. Die Fissura posterolateralis (Pfeil B) trennt den Lobus flocculonodularis von Vermis und Hemisphären. Das Dach des IV. Ventrikels wird sukzessive vom Cerebellum überwuchert.

Abb. 68

Fortschreitende Gliederung des Cerebellums in Lappen und Blätter durch das Auftreten neuer Fissuren ab der 16. Woche.

Abb. 69 - Entwicklung des Cerebellums, Sagittalschnitt
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1
Mesencephalon
2
weisse Substanz
3
Aquaeductus mesencephali (Sylvii)
4
Nucleus dentatus
5
Kleinhirnrinde
6
Nodulus
7
Plexus choroideus
A
Fissura prima
B
Fissura posterolateralis
LA
Lobus anterior
LP
Lobus posterior
IV
IV. Ventrikel

Legende
Abb. 69

Gleiche Situation wie in Abb. 68 jedoch mit schematischer Darstellung der Kleinhirnarchitektur (Archicortex gelb, Palaeocortex blau, Neocortex und Nucleus dentatus rosa).

NB: Tatsächlich finden sich in der Tiefe der weissen Substanz des Cerebellums auf jeder Seite vier Kleinhirnkerne: die Nuclei fastigii (Schaltstelle der Archicerebellum), die Nuclei emboliformes und globosi (Schaltstellen des Paläocerebellums) sowie die hier stellvertretend wiedergegebenen Nuclei dentati (Schaltstellen des Neocerebellums).

Die Struktur des Cerebellums widerspiegelt seine phylogenetische Entwicklung.

  • Das Archicerebellum (archi = griechisch alt) besteht aus Lobus flocculonodularis (Vestibulocerebellum) und Lingula (Vestibulocerebellum und Spinocerebellum). Es stellt den phylogenetisch ältesten Teil dar und beteiligt sich an der Orientierung im Raum sowie der Erhaltung des Gleichgewichts. Dem Archicerebellum ist der Nucleus fastigii als Schaltstelle zugeordnet.

  • Das Palaeocerebellum umfasst den Vermis sowie den Lobus anterior (mit Ausnahme der Lingula). Es ist phylogenetisch jünger und verarbeitet vom Bewegungsapparat stammende Informationen zur Steuerung der Haltungs- und Stellreflexe (spinocerebelläre Bahnen). Die dazugehörigen Kleinhirnkerne sind die Nuclei globosi und emboliformes.

  • Das Neocerebellum schliesslich setzt sich aus dem Lobus posterior zusammen (Kleinhirnhemisphären). Es handelt sich dabei um den phylogenetisch jüngsten Teil. Als Schaltstellen fungieren die Nuclei dentati. Das Neocerebellum schiebt sich zwischen die beiden älteren Anteile, und es ist beim Menschen besonders stark entwickelt. Seine Aufgabe besteht in der gezielten Überwachung der supraspinalen Motorik (corticopontocerebelläre Verbindungen). Im Gegensatz zum Palaeocerebellum ist die Entwicklung des Neocerebellums zum Zeitpunkt der Geburt noch nicht abgeschlossen.

Synopsis der Entwicklung des Metencephalons

 

Das Metencephalon entspricht dem rostralen Teil des Rhombencephalons wobei es ähnlich wie im Myelencephalon zu einer Auseinanderdrängen der Seitenwände kommt, so dass die Flügelplatten lateral der Grundplatte zu liegen kommen. Bezüglich der Entwicklung der ventralen und der dorsalen Anteile bestehen jedoch die folgenden Unterschiede:

  • Der ventrale Anteil oder Boden entwickelt sich zum Pons. Die Verdickung beruht im Wesentlichen auf Fasern, welche Grosshirnrinde, Rückenmark und Cerebellum miteinander verbinden. Aus Flügelplatte und Grundplatte gehen die Kerngebiete der betreffenden Hirnnerven hervor und aus der Flügelplatte auswandernde Neurone bilden in der Tiefe die Nuclei pontis.

  • Der dorsale Teil oder Dach, das künftige Cerebellum, ist ein Koordinationszentrum im Dienste der Bewegung und des Gleichgewichts. Aus der Verschmelzung der Rautenlippen in der Medianen geht die Anlage des Cerebellums hervor. Durch Auswanderung neuroepithelialer Zellen aus den Rautenlippen entstehen die oberflächliche Kleinhirnrinde sowie die Kleinhirnkerne in der Tiefe.