Einleitung
Durch künstliche Besamung können wertvolle Vatertiere viel mehr Nachkommen zeugen als dies durch Natursprung möglich wäre, werden doch aus einem einzelnen Ejakulat beim Rind mehrere hundert Spermadosen produziert. Durch den vermehrten Einsatz der KB wurde die Durchführung von Nachzuchtprüfungen vereinfacht und infolge dessen der Zuchtfortschritt verbessert und beschleunigt. Durch die erfolgreich entwickelte Kryokonservierung können männliche Spender auch nach ihrem Tod weitervererben, und Paarungen über grosse Distanzen sind ohne aufwändige Organisation möglich.
Spermagewinnung
In den allermeisten Fällen erfolgt die Spermagewinnung nach entsprechendner Gewöhnung des Stiers mit dem Einsatz eines Phantoms als Deckpartner und einer künstlichen Vagina. In seltenen, ausgewählten Einzelfällen wird eine Elektroejakulation oder eine Punktion des Nebenhodens eingesetzt. Bei allen Gewinnungsarten stehen eine einwandfreie Hygiene und eine gute Qualität des Spermas im Vordergrund. Letztere kann durch einen möglichst natürlichen Ablauf des Deckaktes bei der Samengewinnung und das Wohlbefinden der Tiere beeinflusst werden. Somit ist der Haltung und Fütterung, dem Handling und der Pflege der Stiere grösste Beachtung zu schenken.
Aus seuchenhygienischen, organisatorischen und sicherheitstechnischen Gründen findet bei der Absamung keine sexuelle Stimulation durch den natürlichen Paarungspartner statt. Vielmehr wird den Stieren für das Aufspringen ein Phantom angeboten. Dieses ist den Körperumrissen einer Rinderrückseite nachempfunden und stimuliert die Bullen visuell. Dank des Torbogenreflexes adaptieren sich die Stiere sehr gut an diese Situation, und die Reflexkette der Ejakulation läuft gleich ab wie bei einem Deckakt mit einer natürlichen Deckpartnerin.
Künstliche Vagina
Die künstliche Scheide muss sterilisert und auf Körpertemperatur aufgewärmt werden. Ein formbestimmendes und stabiles Kunststoffrohr wird mit einem Gummischlauch ausgekleidet, der durch ein Aussenventil mit warmem Wasser gefüllt werden kann. Durch einen Trichter fliesst das Sperma vorne an der künstlichen Vagina in ein Auffanggefäss (Spermaröhrchen). Dieses wird mit einem Beutel vor Kälte und sonstigen Schäden geschützt. Die Stimulation des Bullens unmittelbar vor der Spermagewinnung übt einen grossen Einfluss auf die Spermaqualität aus. Die besten Resultate (am meisten lebende Spermien pro Ejakulat) werden erzielt, wenn der Bulle zuerst 5 Minuten in der Wartezone der Absamungshalle steht und vor dem eigentlichen Sprung mit der Ejakulation 2 „blinde Aufsprünge“ (Aufsprung ohne Ejakulation) vornimmt.
Beim Sprung, bei dem die Absamung stattfindet, befindet sich der Helfer mit der künstlichen Vagina unter oder neben dem Phantom und lenkt den Penis manuell in Richtung der Vaginalöffnung. In einigen Modellen ist die Vagina in das Phantom eingebaut. Der Kontakt von Penis und künstlicher Vagina löst den Nachstoss mit anschliessender Ejakulation aus. Die künstliche Vagina wird erst entfernt, wenn der Bulle vom Phantom absteigt.
Das mit dem Ejakulat gefüllte Röhrchen wird in ein Wasserbad verbracht, um eine unerwünschte Abkühlung zu vermeiden.
Je nach Temperament und Spermaqualität des Stieres kann dieser zwei bis drei Mal pro Woche abgesamt werden. Gesundheitlich stellt eine höhere Frequenz für den Stier kein Problem dar, die Zahl der pro Ejakulat gewonnen Spermien nimmt aber ab.
Elektroejakulation
Bei der Gewinnung von Sperma durch Elektroejakulation werden Elektroden rektal im Bereich der akzessorischen Drüsen und des Ejakulationszentrums im Rückenmark eingeführt. Diese geben intermittierende Stromstösse ab, die nach wenigen Minuten zum Abfliessen von Sperma aus der Urethra führen. Die Gefahr einer Spermaverunreinigung ist bei dieser Methode grösser, da der Penis meist nur wenig ausgeschachtet wird.
Es gibt nur sehr wenige Indikationen für die Gewinnung von Sperma mittels Elektroejakulation, und ihre Anwendung ist gesetzlich geregelt. Sie ist ausnahmsweise anwendbar zur Absamung von Stieren der Fleischrassen, deren potentia generandi (Zeugungsfähigkeit) beurteilt werden soll, beispielsweise beim Verdacht, dass die schlechte Konzeptionsrate von Kühen einer Herde (Fleischrasse) durch den Deckbullen hervorgerufen wird. Da solche Stiere nicht an das Phantom gewöhnt sind, bietet die Elektroejakulation eine alternative Möglichkeit der Samengewinnung. Hingegen darf diese Methode nicht angewendet werden, um eine schwache Libido sexualis auszugleichen.
Hygiene
Sehr grosse Beachtung bei der Absamung ist der Hygiene und den sanitarischen Massnahmen zu schenken. Auch bei bester Hygiene ist das Erhalten vollständig keimfreier Ejakulate nicht möglich, da distale Urethra und Präputium physiologischerweise von Keimen besiedelt sind. Trotzdem muss alles getan werden, um die Zahl der ubiquitären Keime in einer Samenportion möglichst klein zu halten, und kontaminierte Ejakulate sollen eliminiert werden. Die Hygienevorschriften umfassen das Personal, die räumliche Infrastruktur, die Tiere selber (Bullen und Deckpartner) und die verwendeten Utensilien (künstliche Scheide).
Da viele Tierseuchen auch über die Samenflüssigkeit verbreitet weren können, müssen die frischproduzierten Samendosen am Ort der Produktion für 4 Wochen in einem separaten Quarantänegefäss gelagert werden. Erst nach Aufhebung der Quarantäne gelangen die Dosen in den Verkauf.