Freemartinismus
Während der Trächtigkeit eines nicht gleichgeschlechtlichen Zwillingspaares kommt es in den Plazenten zur Ausbildung von Anastomosen zwischen den fetalen Blutgefässen, so dass ein Austausch von Blut zwischen den Feten stattfindet.
Im Stadium der Plazentation befindet sich der Embryo in einer immuntoleranten Phase, die Blutzellen des jeweils anderen Feten werden deshalb nicht als fremd erkannt, und es kommt zu einer lebenslangen gegenseitigen Immuntoleranz. Die Feten werden zu XX/XY Chimären.
Testosteron und Anti-Müller Hormon sind die Hormone, welche unabhängig vom genetischen Geschlecht die Entwicklung der Geschlechtsgänge und der Begattungsorgane in Richtung des männlichen Phänotyps lenken. Durch den Blutaustausch gelangen diese Hormone vom männlichen in den genetisch weiblichen Zwillingsfeten und bewirken eine Maskulinisierung der weiblichen Geschlechtsorgane verschiedenen Grades.
Freemartinismus kann theoretisch bei allen Tierarten auftreten, dokumentierte Fälle gibt es bei Schafen, Ziegen, Schweinen und Rindern. Praktische Bedeutung erlangt das Phänomen aber nur bei den Rindern. Wie oben erwähnt ist in etwa jede 20. Rindergeburt eine Zwillingsgeburt. 50% aller Zwillingspaare sind nicht gleichgeschlechtlich und davon entwickeln 85-90% einen Freemartinismus.
Auch beim Pferd kommt es regelmässig zur Ausbildung von plazentaren Anastomosen bei Zwillingsträchtigkeiten, ohne dass es aber zu irgendwelchen Anzeichen von Fehlentwicklungen beim weiblichen Zwillingspartner kommen würde. Es wird angenommen, dass sich beim Pferd die Anastomosen zu einem viel späteren Zeitpunkt ausbilden, wenn die Entwicklung der weiblichen Geschlechtsorgane schon abgeschlossen ist. Beim Menschen bilden sich bei monozygoten Zwillingen mit einem gemeinsamen Chorion sehr grosse Anastomosen. Folgen davon sind jedoch nicht wie beim Rind Störungen in der Genitalentwicklung, sondern die Beeinträchtigung der Vitalität eines oder beider Zwillinge während der Schwangerschaft oder Geburt.
Ungeklärt ist die Frage, ob und inwiefern sich die Ausbildung von Gefässanastomosen auf den männlichen Zwillingspartner auswirkt. Aktuelle Untersuchungen befassen sich mit möglichen Folgen für die Fertilität und die Geschlechtsverteilung bei Nachkommen des männlichen Zwillingspartners.
Zur Erkennung von Freemartinismus werden verschiedene diagnostische Ansätze herangezogen. Von den relativ einfachen klinischen Untersuchungen (Scheidenlänge), über die Karyotypisierung und Hormonbestimmungen bis zu DNA-Analysen. Gegenwärtig wird an einer pränatalen Diagnostik für den Nachweis fetaler DNA im maternalen Blutplasma gearbeitet.