Allgemeine Entstehung
Bei beiden Geschlechtern entwickelt sich pro Körperseite ein Genitalweg. Die Primordia dieser Geschlechtsgänge umfassen dabei die Urnierentubuli, die paarigen Wolff‘schen und Müller’schen Gänge sowie den unpaarigen Sinus urogenitalis. Der Müller‘sche Gang (Ductus paramesonephricus) wird lateral des Wolff‘schen Gangs (Ductus mesonephricus) an der Urniere angelegt und kreuzt den Wolff‘schen Gang am kaudalen Urnierenpol nach medial (Abb. 1).
Beim weiblichen Individuum, dem konstitutiven Geschlecht, werden Urniere, Urnierentubuli und Wolff‘sche Gänge zurückgebildet. Allfällige Relikte der Urnierenkanälchen können im Mesovar als Epoophoron bestehen bleiben, caudale Übrigbleibsel des Urnierengangs werden als Gartner‘ Gänge bezeichnet.
Erhalten bleiben die Müller‘schen Gänge und der Sinus urogenitalis. Ersterer bildet den Eileiter, den Uterus und den kranialen Vaginalabschnitt. Die caudalen Vaginalanteile entstehen aus dem Sinus urogenitalis.
Bei der Bildung der definitiven weiblichen Geschlechtsgänge verschmelzen die beiden Müller‘schen Gänge zu gewissen Anteilen (Abb. 2). Der Grad der Fusion bestimmt je nach Ausmass seiner Ausdehnung nach cranial die speziesspezifische Ausformung der weiblichen Geschlechtsgänge (siehe Speziesspezifitäten).
Bei männlichen Individuen, dem induzierten Geschlecht, bleiben einige Urnierenkanälchen als Ductuli efferentes erhalten, der Urnierengang wird zum D. epididymidis und zum D. deferens. Die Urethra masculina entsteht vollständig aus dem Sinus urogenitalis (Abb. 3).
Rudimentäre Urnierenkanälchen ohne Anschluss an das Rete testis werden als Ductuli aberrantes, solche ohne Verbindung zum Urnierengang als Paradidymis bezeichnet.
Die Müller‘ Gänge werden hingegen zurückgebildet. Allfällige Relikte können als Appendix testis bzw. als Utriculus masculinus bestehen bleiben.
Die Rückbildung des cranialen Keimdrüsenbandes ist Voraussetzung für den Descensus testis.
Speziesspezifitäten
Wie erwähnt, kommt es zu einer tierartlich unterschiedlich ausgeprägten Verschmelzung der Müller‘sche Gänge. Das Ausmass der Fusion führt dann zur speziesspezifischen Ausgestaltung der weiblichen Geschlechtsgänge.
Primitiv entwickelte Tiere
Bei den niederen Säugetieren (Metatheria, z.B. Beutelratte, Koala und Känguruh) und den Ursäugern (Protheria, z.B. Schnalbetier und Ameisenigel) bleibt die Paarigkeit der Müller‘schen Gänge erhalten. Bei ihnen sind also der Uterus, die Cervix und die Vagina doppelt ausgebildet: Uterus duplex, Vagina duplex (Abb. 4).
Nager (Kaninchen)
Bei den meisten Nagetieren verschmilzt nur der kaudalste Anteil der Müller‘schen Gänge, also der Vaginalbereich. Sie besitzen eine einheitliche Vagina, jedoch eine doppelte Cervix und einen doppelten Uterus: Vagina simplex, Uterus duplex (Abb. 5).
Haustiere allgemein
Bei unseren Haussäugetieren vereinigen sich zusätzlich zur Vagina auch jene Anteile, die zu Uterushals und Uteruskörper werden. Nur die Uterushörner verbleiben paarig. Bei dieser Fusionsform spricht man von einem Uterus bicornis.
Rind
Beim Rind verschmelzen die kaudalen Anteile der Müller’ Gänge einschliesslich des Uteruskörpers. Als Relikt der paarigen Anlage besteht im Uteruskörper ein Septum, das Velum uteri: Uterus bicornis subseptus (Abb. 6).
Schwein und Fleischfresser
Beim Schwein und beim Fleischfresser bleiben die Uterushörner bis auf einen kurzen vereinten Uteruskörper weitgehend paarig: Uterus bicornis subseptus (Abb. 7 und 8).
Pferd
Beim Pferd schreitet die Verschmelzung der Müller’ Gänge so weit fort, dass ein einheitlicher Uteruskörper ohne Velum uteri entsteht.
Die paarig verbliebenen Hörner sind kurz: Uterus bicornis non subseptus (Abb. 9).
Mensch
Beim Menschen haben sich, im Gegensatz zu den Haussäugetieren, alle Anteile ausser den Eileitern vereinigt. Die Uterusform beim Menschen wird als Uterus simplex bezeichnet (Abb. 10).