17.1 Immunkompetenz



Einleitung


Das Thema Immunologie kann in der Embryologie von zwei Seiten her angegangen werden: In der Phase der Nidation und der fetomaternalen Erkennung braucht der Fetus eine gute Strategie, um vom maternalen Immunsystem nicht als fremd erkannt und folglich eliminiert zu werden.
Andererseits ist der Fetus auf die Entwicklung eines Immunsystems während der Trächtigkeit angewiesen, um sich intrauterin und postnatal mit Fremdantigen auseinander setzen zu können. In der ersten Zeit nach der Geburt beruht der Schutz jedoch hauptsächlich auf einer passiven Immunität durch maternale Antikörper. Je nach Spezies werden diese diaplazentar oder mit dem Kolostrum oder in ovo übertragen.



Entwicklung des fetalen Immunsystems


Der Thymus entwickelt sich im ersten Fünftel der Trächtigkeit als primäres lymphatisches Organ im Halsbereich des Feten und zeichnet für die Prägung der T-Lymphozyten verantwortlich. Kurz darauf werden die sekundären lymphatischen Organe (Milz, Lymphknoten, Tonsillen, diffuses lymphatisches Gewebe) im Embryo angelegt und etwas später entwickeln sich die ersten funktionsfähigen B-Zellen. Antikörper hingegen treten, wenn überhaupt, erst sehr spät während der Trächtigkeit auf.
Bei der Geburt ist das Immunsystem zwar vollständig ausgebildet und zu einer primären Immunantwort fähig, jedoch unreif und damit nur eingeschränkt funktionsfähig. Das neugeborene Tier ist deshalb in den ersten Wochen sehr anfällig für verschiedenste Infektionskrankheiten. Bis zur Erlangung der vollen Immunkompetenz wird das Neugeborene durch die passive Immunisierung mit maternalen Antikörpern geschützt.

Tabelle

Thymusanbildung






Tabelle

Immunkompetenz Rind




Passive Immunisierung


Die passive Immunisierung der Neugeborenen beruht auf der Aufnahme maternaler Antikörper. Diese können entweder intrauterin durch die Plazenta oder postnatal mit dem Kolostrum von der Mutter auf die Nachkommen übertragen werden.
Die diaplazentare Übertragung von Immunglobulinen kommt insbesondere in hämochorialen Plazenten vor. Bei diesen Spezies (Primaten, Nagetiere) werden beträchtliche Mengen an Immunglobulin G (IgG) durch Pinozytose aktiv übertragen. IgA, IgE und IgM hingegen werden nicht diaplazentar weitergegeben. Neben dem endotheliochorialen Plazentarlabyrinth weist die Plazenta der Fleischfresser auch einen hämochorialen Bezirk, das Randhämatom, auf. Beim Hund werden im letzten Trächtigkeitsdrittel kleine Mengen IgG diaplazentar übertragen, bemerkenswerterweise jedoch nicht in den hämochorialen sondern vielmehr den endotheliochorialen Anteilen. Der wichtigste Teil der passiven Immunisierung erfolgt aber auch beim Hund über die Aufnahme kolostraler Antikörper.
Bei Spezies mit epitheliochorialer Plazenta fehlen die Voraussetzungen für eine Übertragung von Antikörpern während der Trächtigkeit. Die Jungtiere werden deshalb mit einer Agammaglobulinämie geboren und die passive Immunisierung erfolgt durch kolostrale Antikörper. Diese besitzen nicht nur die Funktion der Abwehr systemischer Infektionskrankheiten, sondern schützen auch gegen lokale Darminfektionen. Während maximal 48 Stunden können die Epithelzellen des Dünndarms kolostrale Immunglobuline aufnehmen. Ob die Absorption selektiv mittels spezifischer (FcRn-) Rezeptoren oder nichtselektiv mittels Pinozytose abläuft, ist umstritten.
Wirkung und Spezifität des Kolostrums können verbessert werden, wenn das Muttertier während der Trächtigkeit immunisiert wird. Einige Beispiele, in denen maternale Impfungen in der Praxis zur Anwendung kommen sind Kälberdurchfall durch Rota- oder Coronaviren, Cryptosporidium parvum oder Escherichia coli, Herpesviren (Pferd und Hund) oder Circoviren (Schwein).
Ungeachtet einer allfälligen Resorption vermitteln kolostrale Antikörper und weitere lösliche Faktoren wie Lysozyme, Laktoferrine, Peroxidasen, Oligosaccharide, Zytokine und Leukozyten bei allen Spezies einen lokalen Schutz des Verdauungsapparats vor enterogenen Erregern.

Auch das Vogelküken erfährt eine passive Immunisierung, notwendigerweise während der Brutzeit. Zum Einen gibt das Huhn Immunglobuline aus dem Blut an den Dotter und somit an die Eizelle ab. Zudem inkorporiert das Eiklar IgM und IgA während der Eibildung im Eileiter. Die Allantois (Eiweissack) und das Amnion stehen durch einen Kanal in Verbindung. Durch diesen Ductus sacci albuminis wird Eiweiss aus der Allantois in die Amnionflüssigkeit verlagert und vom Jungvogel oral aufgenommen. Auf diesem Weg gelangen die oben erwähnten Immunglobuline in den Embryo. Auch im Eidotter befinden sich Immunglobuline. Diese werden dem Embryo zur Verfügung gestellt, indem Dotter ab Mitte und vor allem gegen Ende der Brutzeit über den Dottersackstiel in den Darm gelangt und dort durch Enzyme abgebaut wird. Kurz vor dem Schlüpfen wird der Dottersack in den Abdominalraum eingezogen und sein Inhalt während den ersten 5 Lebenstagen aufgebraucht.

Tabelle

Antikörper




Embryonale Strategien, um dem maternalen Immunsystem zu entgehen


Um nicht vom maternalen Immunsystem als Fremdkörper erkannt und abgestossen zu werden, bedient sich der Embryo zwei Strategien: Die erste beruht darauf, dass die embryonalen Anteile der Plazenta, die mit maternalem Gewebe in Kontakt kommen, sich dem maternalen Immunsystem nur sehr schwach antigen präsentieren. Durch den Einsatz von immunsupprimierende Faktoren durch den Embryo wird die maternale Immunantwort gedämpft.
Wie alle kernhaltigen Zellen weist der Trophoblast im Laufe seiner Reifung verschiedene Typen von MHC-I Moleküle an seiner Oberfläche auf. Die klassischen MHC-I Moleküle sind hoch antigen und führen, falls sie auf dem Trophoblasten exprimiert werden, zu einer Resorption oder zum Abort. Allerdings kommt es beim Rind physiologischerweise zur Expression klassischer MHC-I Moleküle auf dem Trophoblasten erst im letzten Drittel der Trächtigkeit, ohne dass dem Fetus dadurch Nachteile erwachsen. Es wird allerdings vermutet, dass die darauf folgende entzündliche Reaktion im Uterus zur Ablösung der Plazenta postpartum beiträgt.
Die nicht-klassischen MHC-I Moleküle werden schon früh auf dem Trophoblasten exprimiert. Sie sind jedoch nur wenig antigen und können an hemmende Rezeptoren der natürlichen Killerzellen binden und die Zielzelle (in diesem Falle eine fetale Zelle) vor der Zerstörung schützen.
MHC Typ II sind ein charakteristisches Merkmal von Zellen, die extrazelluläre Antigene präsentieren. Sie werden auf dem Trophoblasten nie exprimiert.
Die zweite Strategie bedient sich der Immunsuppressoren: Verschiedene Faktoren supprimieren das Immunsystem der Mutter, die Th-1 Immunabwehr wird geschwächt und in Richung Th-2 verschoben. Interferon-Tau (IFNT), welches bei den Wiederkäuern zur maternalen Erkennung der Trächtigkeit beiträgt, vermindert die Proliferation der maternalen Zytokine. Die Immunsuppression der Mutter, die unter anderem auch hormonellen Einflüssen unterliegt, ist zwar eine Voraussetzung für das Überleben des Embryos im Uterus, führt aber auch zur erhöhten Empfänglichkeit der Mutter gegenüber gewissen Erregern, die intrauterin an den Feten weitergegeben werden können. Ein gut bekanntes Beispiel hierfür ist die Demodikose beim Hund.

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