22.7 Stammhirn
Entwicklung des Rhombencephalons
(Myelencephalon - 5. Hirnbläschen und Metencephalon - 4. Hirnbläschen)


Entwicklung des Myelencephalons (5. Hirnbläschen oder Medulla oblongata) bzw. Bulbus spinalis


Das Myelencephalon stellt den caudalen Teil des Rhombencephalons dar. Es bildet beim Adulten die Medulla oblongata. Das Myelencephalon beherbergt die meisten Kerngebiete der Hirnnerven sowie die Zentren, welche unter anderem Atmung, Herzrhythmus, Schluckakt, Husten und Erbrechen überwachen. Es handelt sich um einen Übergangsbereich zwischen Rückenmark und Gehirn, so dass zahlreiche strukturelle Homologien zum Rückenmark bestehen, namentlich im caudalen Bereich des Myelencephalons.



Entwicklung des caudalen Teils des Myelencephalons


Im "röhrenförmigen" caudalen Teil des Myenlencephalons wandern die Neuroblasten aus den Flügelplatten in die Marginalzone aus, wobei jederseits die Nuclei gracilis (medial) und cuneatus (lateral) gebildet werden. Es handelt sich dabei um Schaltstellen der proprioceptiven und der epikritischen Sensibilität, die an Cerebellum und Thalamus herangeführt werden. Durch den ventralen Teil des Myelencephalons hingegen zieht vom 4. Monat an die Pyramidenbahn (oder Tractus corticospinalis als Bahn der Willkürmotorik). Die Kreuzung der beiderseitigen Bahnen, die Decussatio pyramidum, markiert die Grenze zwischen Myelencephalon (Medulla oblongata) und Rückenmark (Medulla spinalis).


Abb. 49 - Seitenansicht des ZNS im Fünfbläschenstadium um den 38. Tag Abb. 50 - Rohrförmiger, caudaler Teil des Myelencephalons  Legende

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Nucleus gracilis
Nucleus cuneatus
Flügelplatte
Grundplatte
Pyramis (Tr. corticospinalis)
Canalis centralis

Abb. 49, Abb. 50
Querschnitt durch den caudalen Teil des Myelencephalons. Beachte die strukturellen Ähnlichkeiten zum Rückenmark, welche in diesem Hirnabschnitt bestehen.



Entwicklung des rostralen Teils des Myelencephalons


Im "offenen", rostralen Teil des Myelencephalons führt die Ausbildung der Brückenbeuge auf deren dorsaler, konkaven Seite zu einer rautenförmigen Ausweitung des Dachs des Ventrikelsystems (Bildung der sekundären Hirnbläschen und der Hirnbeugen). Die seitlichen Begrenzungen des Neuralrohrs weichen auseinander (ähnlich dem Aufschlagen eines Buches), wodurch die Erweiterung des IV. Ventrikels entsteht.

  • Durch dieses Auseinanderziehen wird das Dach des Myelencephalons äusserst dünn, es entsteht das Velum medullare caudale mit dem Plexus choroideus des IV. Ventrikels. Bei Letzterem handelt es sich um eine einschichtige Lage spezialisierter Ependymzellen (Lamina epithelialis) welche vom gefässreichen Mesenchym der Pia mater (Tela choroidea) unterlagert wird. Durch das Wuchern dieser Elemente an ihren seitlichen Rändern entsteht der Plexus choroideus 19. Dieser bildet - wie alle Plexus choroideï - Liquor cerebrospinalis, Hirn-Rückenmarksflüssigkeit, als Ultrafiltrat des Blutes. Zudem vermittelt der Plexus den Transport von Nährstoffen und Elektrolyten, und er eliminiert toxische Stoffwechselprodukte

Mehr dazu

Die Plexus choroïdei, der Liquor cerebrospinalis und dessen Kreislauf.

Histologie der Plexus choroideï.


Abb. 51 - Seitenansicht des ZNS im Fünfbläschenstadium um den 38. Tag Abb. 52 - *Offener", rostraler Teil des Myelencephalons um die 6. Woche  Legende

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IV. Ventrikel
Deckplatte
Flügelplatte
Grundplatte

Abb. 51, Abb. 52
Die Seitenwände beginnen auseinander zu weichen. Dadurch wird das Dach (Deckplatte) breit und dünn. Analog zum Rückenmark lassen sich in der Seitenwand aber auch hier die Flügelplatten und die Grundplatten mit dazwischen verlaufendem Sulcus limitans erkennen.


Abb. 53 - Seitenansicht des ZNS im Fünfbläschenstadium um den 44. Tag Abb. 54 - "Offener", rostraler Teil des Myelencephalons um die 7. Woche  Legende

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IV. Ventrikel
Deckplatte
Flügelplatte mit somato- und
visceroafferenten Anteilen
Grundplatte mit somato- und
visceroefferenten Anteilen
Sulcus limitans
Olivenkerne

Abb. 53, Abb. 54
Die Deckplatte wurde noch weiter auseinander gezogen und überdacht nun die Rautengrube des IV. Ventrikels. Durch diesen Umformungsprozess kommen die Flügelplatten und die Grundplatten praktisch in eine Horizontalebene zu liegen. Zwischen beiden verläuft jedoch nach wie vor der Sulcus limitans. Ferner kommt es ventral im Bulbus spinalis durch Auswanderung von Neuronen aus der Flügelplatte zur Bildung der Olivenkerne.


Zusammenfassung:

Die extreme Reduktion der Wandstärke im dorsalen Teil des Neuralrohrs führt zum Aufeinandertreffen des ependymalen Epithels (Lamina epithelialis) mit der Leptomeninx (Pia mater und Arachnoidea), wodurch ein Plexus choroideus entsteht. Dieser dehnt sich in den Ventrikelraum aus und bildet den Liquor cerebrospinalis.


  • Im Gegensatz zum Dach kommt es im Bereiche der Seitenwände und des Bodens zu einer Verdickung des Neuralrohrs. Dort liegen Grundplatte (medial) und Flügelplatte (lateral) nebeneinander, getrennt durch den Sulcus limitans. Parallel zu diesen Umformungsprozessen zerfallen die im Rückenmark zusammenhängenden Säulen von grauer Substanz in einzelne Kerngebiete (von denen einige eine beträchtliche Längenausdehnung aufweisen können). Ab dem 28. Tag entstehen aus den Grundplatten des Rhombencephalons die motorischen Kerngebiete der Hirnnerven V bis XII
    11, etwas später um die 5. Woche aus den Flügelplatten die entsprechenden sensiblen Kerngebiete 13. All diese Kerngebiete liegen auf 7 längs verlaufenden Trajektorien, von denen die vegetativen dem Sulcus limitans benachbart sind, während sich die somatosensiblen lateral und die somatomotorischen medial anlagern. Im Kapitel zur Einteilung der Hirnnerven wird die Anordnung dieser Kerngebiete ausführlich erörtert. Hier sei lediglich noch angemerkt, dass auch die Ventralverlagerung der weissen Substanz infolge der genannten Umgestaltungsvorgänge zur Fragmentierung der Grundplatten und der Flügelplatten in einzelne Kerngebiete beiträgt.

  • Aus den Seitenwänden des Myelencephalons gehen die unteren Kleinhirnstiele (Pedunculi cerebellares inferiores) hervor. Sie führen spino-cerebelläre, bulbo-cerebelläre und vestibulo-cerebelläre Fasern.

Abb. 55 - Seitenansicht des ZNS im Fünfbläschenstadium um die 8. Woche Abb. 56 - "Offener", rostraler Teil des Myelencephalons um die 8. Woche  Legende


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5+6
7+8
9+10
IV. Ventrikel
Deckplatte
Plexus choroideus
Olivenkerne
SSA
ASA
SVA
AVA
AVE
SVE
ASE

Somatosensible Zone
Viszerosensible Zone
Viszeromotorische Zone


Abb. 55, Abb. 56
Durch die Streckung und Dickenabnahme der Deckplatte entsteht das Velum medullare, in welchem sich jederseits ein Plexus choroideus entwickelt. In diesem Stadium organisieren sich die Grundplatten und die Flügelplatten jederseits zu sieben Reihen von Kerngebieten (motorische: medial; viscerale: beidseits des Sulcus limitans; sensible: lateral). Die Olivenkerne entstammen den Flügelplatten und sind nun deutlich abgrenzbar.



Zur Erinnerung


  • SSA: spezielle somatische Afferenzen (Somatosensorik)
  • ASA: allgemeine somatische Afferenzen (Somatosensibilität)


  • SVA: spezielle viscerale Afferenzen (Viszerosensorik)
  • AVA: allgemeine viscerale Afferenzen (Viszerosensibilität)


  • AVE: allgemeine viscerale Efferenzen (Viszeromotorik Kiemenbögen)
  • SVE: spezielle viscerale Efferenzen (Viszeromotorik X und IX)


  • ASE: allgemeine somatische Efferenzen (Somatomotorik)


  • Die Olivenkerne bestehen aus Neuronen, welche aus der Flügelplatte auswandern und sich im Bulbus spinalis ansiedeln. Es ist dies die erste supra-spinale Struktur, welche entsteht. Die Olivenkerne stellen ein besonderes Kerngebiet der Formatio reticularis dar und bilden eine Schaltstelle der unwillkürlichen Motorik.


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