10.3 Mehrlingsträchtigkeit



Zwillingsträchtigkeit


In den allermeisten Fällen sind Zwillinge dizygot. Sie entstehen also durch Ovulation und Befruchtung zweier Eizellen und sind damit lediglich gleich alte, genetisch jedoch verschiedene Geschwister. Beim Rind ist etwa jede 20. Trächtigkeit eine Zwillingsträchtigkeit. Davon sind 0.1 Prozent monozygote Zwillinge, die entweder durch Trennung im Blastomerstadium oder seltener durch die Trennung des Embryonalknotens entstehen. Das zwei-Blastomerstadium ist der früheste Zeitpunkt, bei dem monozygotische Zwillinge entstehen können. Jede der beiden Blastomeren wird zu einem eigenen Individuum mit einer eigenen Plazenta.

Wenn sich in einer Blastocyste zwei Embryonalknoten ausbilden, kommt es ebenfalls zu monozygoten Zwillingen, die sich in separaten Amnionblasen aber mit einem gemeinsamen Dottersack und Chorion entwickeln. Diese Variante kommt bei Schafen, Schweinen und Menschen vor. Eineiige Zwillinge haben das zwangsläufig gleiche Geschlecht, eine (teilweise) gemeinsame Plazenta und zeichnen sich durch auffallende Ähnlichkeit aus.

Beim Pferd wird bei der Konzeption eine Zwillingsrate von bis zu 30% angenommen. Allerdings ist aufgrund der grossen pränatalen Mortalitätsrate von Zwillingsembryos nur jede 50. Pferdegeburt eine Zwillingsgeburt.

Unabhängig davon, ob die Ovulationen auf beiden oder ein und demselben Ovar erfolgen, verteilen sich beim Schaf die Blastozysten auf beide Uterushörner. In derselben Situation bleiben beim Rind hingegen beide Blastozysten im gleichen Uterushorn. Bei einer Zwillingsträchtigkeit beim Pferd nisten sich beide Blastozysten im gleichen Horn nahe dem Uteruskörper ein, nachdem sie ihre Wanderung durch den Uterus abgeschlossen haben.









Mehr dazu

Humanembryologie
Zwillings-schwangerschaft



Abb. 49 - Monozygote Zwillinge  Legende
1
2
3
4
Zweizell-Stadium
Morula
Blastozyste
Zwei Embryonen mit je eigenen Eihüllen

Abb. 49
Entstehung eineiiger Zwillinge durch Trennung der Blastomeren im Zweizellstadium. Die Embryonen haben je eigene Fruchthüllen


Abb. 50 - Monozygote Zwillinge  Legende
1
2
3
4
Zweizell-Stadium
Morula
Blastozyste mit zwei Embryoblasten
Zwei Embryonen mit gemeinsamem Chorion und Dottersack

Abb. 50
Entstehung eineiiger Zwillinge durch Ausbildung von zwei Embryonalknoten in der Blastocyste. Die Embryonen haben je ein eigenes Amnion und eine eigene Allantois, jedoch eine ein gemeinsames Chorion und einen gemeinsamen Dottersack.



Freemartinismus


Während der Trächtigkeit eines nicht gleichgeschlechtlichen Zwillingspaares kommt es in den Plazenten zur Ausbildung von Anastomosen zwischen den fetalen Blutgefässen, so dass ein Austausch von Blut zwischen den Feten stattfindet.
Im Stadium der Plazentation befindet sich der Embryo in einer immuntoleranten Phase, die Blutzellen des jeweils anderen Feten werden deshalb nicht als fremd erkannt, und es kommt zu einer lebenslangen gegenseitigen Immuntoleranz. Die Feten werden zu XX/XY Chimären.

Testosteron und Anti-Müller Hormon sind die Hormone, welche unabhängig vom genetischen Geschlecht die Entwicklung der Geschlechtsgänge und der Begattungsorgane in Richtung des männlichen Phänotyps lenken. Durch den Blutaustausch gelangen diese Hormone vom männlichen in den genetisch weiblichen Zwillingsfeten und bewirken eine Maskulinisierung der weiblichen Geschlechtsorgane verschiedenen Grades.
Freemartinismus kann theoretisch bei allen Tierarten auftreten, dokumentierte Fälle gibt es bei Schafen, Ziegen, Schweinen und Rindern. Praktische Bedeutung erlangt das Phänomen aber nur bei den Rindern. Wie oben erwähnt ist in etwa jede 20. Rindergeburt eine Zwillingsgeburt. 50% aller Zwillingspaare sind nicht gleichgeschlechtlich und davon entwickeln 85-90% einen Freemartinismus.

Auch beim Pferd kommt es regelmässig zur Ausbildung von plazentaren Anastomosen bei Zwillingsträchtigkeiten, ohne dass es aber zu irgendwelchen Anzeichen von Fehlentwicklungen beim weiblichen Zwillingspartner kommen würde. Es wird angenommen, dass sich beim Pferd die Anastomosen zu einem viel späteren Zeitpunkt ausbilden, wenn die Entwicklung der weiblichen Geschlechtsorgane schon abgeschlossen ist. Beim Menschen bilden sich bei monozygoten Zwillingen mit einem gemeinsamen Chorion sehr grosse Anastomosen. Folgen davon sind jedoch nicht wie beim Rind Störungen in der Genitalentwicklung, sondern die Beeinträchtigung der Vitalität eines oder beider Zwillinge während der Schwangerschaft oder Geburt.
Ungeklärt ist die Frage, ob und inwiefern sich die Ausbildung von Gefässanastomosen auf den männlichen Zwillingspartner auswirkt. Aktuelle Untersuchungen befassen sich mit möglichen Folgen für die Fertilität und die Geschlechtsverteilung bei Nachkommen des männlichen Zwillingspartners.

Zur Erkennung von Freemartinismus werden verschiedene diagnostische Ansätze herangezogen. Von den relativ einfachen klinischen Untersuchungen (Scheidenlänge), über die Karyotypisierung und Hormonbestimmungen bis zu DNA-Analysen. Gegenwärtig wird an einer pränatalen Diagnostik für den Nachweis fetaler DNA im maternalen Blutplasma gearbeitet.


Abb. 51 - Freemartinismus  Legende
1
2
3
A. umbilicalis
V. umbilicalis
Kotyledonen

Abb. 51
Ausbildung von Gefässanastomosen in der Pars fetalis von Zwillingen beim Rind.



Vorherige Seite | Nächste Seite