22.4 Gesamtschau von Histogenese und Myelinisierung des Neuralrohrs


Einführung


Die Histogenese des Nervensystems verläuft in drei aufeinanderfolgenden Etappen:

  • die Zellvermehrung (Proliferation)
  • die Zelldifferenzierung
  • die Zellmigration


Vermehrung der neuroepithelialen Stammzellen


Wie bereits dargelegt, entstammt das gesamte Nervengewebe dem Ektoderm, welches zunächst ein einfaches hochprismatisches Epithel darstellt.
Der Chorda-Mesoderm-Komplex induziert sodann im Ektoderm die Entwicklung der Neuralplatte. Diese senkt sich ein und schliesst sich zum Neuralrohr. Dadurch entsteht ein Epithel aus bipolaren Neuroepithelzellen, welche apikal (also gegen das Lumen hin) durch Zellhaften (Zonulae adhaerentes) miteinander verbunden sind. Dabei beteiligen sich alle Zellen an der Begrenzung des Lumens wobei jedoch nicht alle die aussen liegende Basalmembran erreichen. Die Wand des Neuralrohrs besteht somit aus einem zweireihigen hochprismatischen Neuroepithel. Dessen neurektodermale Zellen teilen sich mitotisch

Abb. 19 - Schematische Ansicht des Neuralrohres mit Lage der Basalmembran  Legende

Abb. 19
Aufgrund der Abfaltung des Neurektoderms zum Neuralrohr kommt die Basalmembran des Neuroepithels (rosa) auf dessen Aussenseite zu liegen. Sie wird deshalb auch als Membrana limitans externa bezeichnet. Demgegenüber wird die Membrana limitans interna (hellblau) durch die Zellhaften des Neuroepithels an der Grenze zum Zentralkanal gebildet.


Im Laufe des Zellzyklus' kommt es zu charakteristischen Verschiebungen des Zellkernes innerhalb des Neuroepithels (interkinetische Kernmigration).
Während der G1-Phase (G1) verschiebt sich der Kern aus seiner juxtaluminalen Lage in Richtung Peripherie.
Während der DNA-Synthese (S-Phase der Interphase) steht die Zelle in breitflächiger Verbindung mit der Lamina limitans externa.
Anschliessend kehrt der Kern in der G2-Phase (G2) in die juxtaluminale Lage zurück, und die Verbindung der Zelle mit der Lamina limitans externa wird aufgegebent. Die Zelle kugelt sich ab, löst sich auch von der Lamina limitans interna und durchläuft in dieser Lage die Zellteilung (M). Danach kommt es in der darauffolgende G1-Phase zur erneuten Streckung der beiden Tochterzellen, bis sie zunächst die innere Begrenzung des Neuralrohrs und anschliessend die Lamina limitans externa erreichen. Durch die Mitoseaktivität des Epithels nimmt die Zelldichte in der Wand des Neuralrohrs kontinuierlich zu.

Die Wand des Neuralrohrs besteht bald aus einem mehrreihigen Epithel, welches seinen epithelialen Charakter allmählich verliert (siehe unten).

Abb. 20 - Zellteilung (schematische Darstellung der verschiedenen
Phasen einer einzelnen Zelle)
 Legende

Abb. 20
Der schematische Querschnitt durch das Neuralrohr zeigt die charakteristische Wanderung des Zellkernes einer neuroepithelialen Zelle im Laufe des Zellzyklus'.



Differenzierung und Zellmigration


Die Differenzierung der meisten Zelltypen des künftigen Zentralnervensystems beginnt ab der 4. Woche im Rhombencephalon. Die Differenzierung der Neuroepithelialen Stammzellen zu Neuroblasten schreitet von da aus räumlich - nach cranial und nach caudal - ebenso wie zeitlich voran, wobei ein erstes Maximum von der 15. bis zur 20. Woche und ein zweites um die 25. Woche erreicht werden. Nach den Neuroblasten werden die Glioblasten gebildet (wobei in diesen Fall der Maximalwert der Produktion erst nach der Geburt erlangt wird) und zuletzt die Ependymzellen. Im Laufe ihrer Differenzierung geben die Nervenzellen den Kontakt zu den Grenzmembranen auf und verlieren ihre Mitosefähigkeit. Die Wand des Neuralrohrs verdickt sich und das Nervengewebe verliert seinen epithelialen Charakter 10.
Parallel dazu entstehen die drei typischen Zelllagen des primitiven Neuralrohrs:

  • Ventrikulärzone
  • Intermediärzone (Mantelzone)
  • Marginalzone

(siehe Histogenese des Rückenmarks)

Abb. 21 - Zelldifferenzierung
(schematische Darstellung einer einzelnen Zelle)
 Legende

Abb. 21
Die Neuroblasten gehen aus der "kritischen Mitose" einer neuroepithelialen Stammzelle hervor. Dabei entstehen einerseits eine identische, teilungsfähige Tochterzelle und andererseits ein postmitotischer Neuroblast (gelb).

Beachte, dass der Neuroblast seine Verbindung zu den Grenzmembranen aufgibt.



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