3.2 Sexualzyklus



Follikulogenese


Die Follikulogenese soll im Folgenden am Beispiel des Rindes dargestellt werden, da bei dieser Spezies Kenntnisse der Follikulogenese aufgrund der häufig angewandten Ovardiagnostik wohl die grösste praktische Relevanz besitzen und die Follikulogenese ausserdem intensiv erforscht wurde.

Die Follikulogenese ist durch die folgenden Ereignisse charakterisiert: Aktivierung, Rekrutierung, Selektion, Dominanz und Atresie. Obschon diese Etappen nicht bei allen Spezies gleichermassen untersucht wurden, dürften die Prinzipien dennoch generelle Gültigkeit besitzen.

Tabelle

Synopsis Oogenese Follikulogenese


Die Follikelreifung läuft vom Primordialfollikel über Primär-, Sekundär- und Tertiärfollikel bis zum Graaf‘schen Follikel, der dann ovuliert . Allerdings können Follikel in jedem beliebigen Entwicklungsstadium atresieren. Die Dauer der Reifung eines frisch aktivierten Primärfollikels bis zum ovulationsbereiten Follikel beansprucht mehrere Zyklen, beim Rind ungefähr 180 Tage (≈ 9 Zyklen). Zu jedem Zeitpunkt im Zyklus sind also auf den Ovarien sämtliche Reifestadien zu erwarten. Für die Praxis ergibt sich daraus, dass die Grösse vorhandener Follikelstadien keine Rückschlüsse auf das Zyklusstadium zulässt und insbesondere auch grössere Tertiärfollikel in jeder beliebigen Zyklusphase als physiologisch zu betrachten sind. Aussagen zum Zyklusstadium sind lediglich aufgrund des Vorhandenseins eines Gelbkörpers und dessen Funktionszustand möglich.

Völlig unabhängig von den hormonellen Gegebenheiten werden jeden Tag durchschnittlich sechs Primordialfollikel aktiviert. Die Aktivierung bezeichnet also den Reifungsprozess vom Primordialfollikel zum Primärfollikel. Dieser aleatorische (zufällige) Vorgang gewährleistet einen gleichmässigen Nachschub an Primärfollikeln, die aus dem Pool der ruhenden Primordialfollikel in die Follikulogenese eintreten. Die entstandenen Primärfollikel entwickeln sich autonom über mehrere Zyklen zu präantralen Sekundärfollikeln weiter. Für die meisten Follikel ist hier die Reifung zu Ende und sie atresieren.

Nur diejenigen Sekundärfollikel, die zum Zeitpunkt hoher FSH-Spiegel (Ende Proöstrus) eine speziesspezifische Anzahl Granulosazellen besitzen, werden rekrutiert, d.h. sie entwickeln sich zu Tertiärfollikeln und entgehen somit der Atresie.

Die Entwicklung vom Primordial- zum präantralen Follikel dauert beim Rind ungefähr 7 Zyklen. Bis ein präantraler Follikel allenfalls später zur Ovulation kommt, vergehen nochmals 2 Zyklen.

Die Reifung von der Aktivierung bis zur Rekrutierung verläuft kontinuierlich, da gonadotropinunabhängig (obwohl bereits Primärfollikel FSH-Rezeptoren besitzen). Nach der Rekrutierung wachsen und reifen die Follikel zyklisch, also mit unterschiedlicher Geschwindigkeit je nach vorherrschenden Hormonspiegeln (Follikelphase, Gelbkörperphase).

Mit der Ausbildung eines Antrum folliculi werden die Follikel bei der Rekrutierung zu Tertiärfollikeln. Weitere FSH- und LH-Rezeptoren werden ausgebildet und der Follikel zur Steroidogenese befähigt.

Die Zahl der rekrutierten Tertiärfollikel (5 bis 25) wird bei der Selektion auf die der Spezies entsprechende Zahl ovulatorischer Follikel reduziert. Dabei unterdrückt beim Rind letztlich ein dominanter Follikel die anderen (subdominanten) Follikel. Diese atresieren durch Apoptose der Granulosa- und Thekazellen in Phasen niedriger FSH-Spiegel. Aufgrund der hohen Anzahl mit FSH-Rezeptoren ausgestatteter Granulosazellen und durch die bessere Durchblutung kann der dominante Follikel trotz sinkender FSH-Spiegel schneller wachsen, noch mehr FSH- und später LH-Rezeptoren exprimieren und somit die Ovulationsbereitschaft erreichen (siehe Kapitel Östrus und Ovulation).

Aus der Sicht der gesamten Follikelpopulation wird unter Einbezug der beschriebenen Vorgänge klar, dass die Ovulation, bezogen auf einen einzelnen Follikel, ein Ausnahme-Schicksal darstellt während die Atresie als das übliche Schicksal eines Follikels zu gelten hat.

Bis zum Sekundärfollikel verläuft die Auswahl zwischen Atresie und Weiterentwicklung rein aleatorisch. Es gibt keine erkenntlichen Kriterien oder Einflüsse, die zwischen diesen beiden Schicksalen entscheiden würden. Erreicht ein Follikel das Stadium des präantralen Sekundärfollikels, so muss er in einer Zyklusphase mit einem FSH-Peak eine speziesspezifische Zahl an Granulosazellen aufweisen, um der Atresie zu entgehen. Erfüllt er diese Bedingung, entwickelt er sich zum Tertiärfollikel weiter, erfüllt er sie nicht, atresiert er. Dieser Entwicklungsschritt, die Rekrutierung, ist der bedeutendste Filter für eine mögliche Weiterentwicklung der Follikel. Durch die gezielte Selektion von Sekundärfollikeln im präantralen Entwicklungsstadium erfolgt gewissermassen eine Synchronisierung. Aus der selektierten Kohorte (Reifegruppe von Tertiärfollikeln), die aus 5-25 rekrutierten Follikeln besteht, ovuliert beim Rind im Normalfall ein Follikel.

Mehr dazu

Humanembryologie
Oogenese, Follikelstadien


Abb. 14 -Follikulogenese Übersicht  Legende

grün
rot
blau
gelb
Proöstrus
Östrus
Metöstrus
Diöstrus

Abb. 14
Der unterste Balken verweist auf den Sexualzyklus, die vertikalen Linien bezeichnen den Ovulationszeitpunkt.
Jede aufsteigende Linie entspricht einem Follikel, ein Umbiegen nach unten bedeutet dessen Atresie.
Die Primärfollikel werden aleatorisch aus dem Pool an Primordialfollikeln aktiviert. Jene, die nicht atresieren, entwickeln sich zu Sekundärfollikeln. Nur jene präantralen Sekundärfollikel, die während eines Proöstrus die ideale Granulosazellzahl aufweisen, werden rekrutiert und entwickeln sich zu Tertiärfollikeln weiter. Danach erfolgt die Selektion eines oder mehrerer dominanter Follikel, die zur Ovulation gelangen.


Im Zusammenhang mit der Rekrutierung ist in der Literatur oft vom Modell der Follikelreifungswellen die Rede. Dieses postuliert eine zwei- oder dreimalige Rekrutierung von präantralen Sekundärfollikeln innerhalb eines einzigen Zyklus. Die erste Welle entsteht um den 3. Zyklustag, die 2. Welle um den 10. Zyklustag und die 3. Welle um den 16. Zyklustag. Dabei wird im weiteren Verlauf jeder Welle ein dominanter Follikel selektiert, wobei ausschliesslich der dominante Follikel der 3. Welle zur Ovulation kommt.
Aufgrund fehlender akkurater Befunde in der Literatur und der nicht schlüssigen Logik bleiben jedoch erhebliche Zweifel am Wellenmodell bestehen. Eine einmalige Rekrutierung während dem FSH-Peak im Proöstrus bietet ein widerspruchsfreies Konzept für alle beobachtbaren Phänomene des Ovarialzyklus. Die Vorgabe, dass ein rekrutierter Follikel 2 Zyklen später im Östrus zur Ovulation kommt, steht in völligem Einklang mit der Feststellung, dass das Vorliegen von Tertiärfollikeln in jeder Zyklusphase absolut physiologisch ist.



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